Neue Achse am Schwarzen Meer Das sind die gemeinsamen Ziele von Putin und Erdogan

Istanbul. · Die Präsidenten Erdogan und Putin sehen ihre Länder als „gute Weggefährten“. In Libyen wollen sie als Ordnungsmächte auftreten und fordern nun eine Waffenruhe ab dem 12. Januar.

 Öffneten die Gasleitung: (von links) Bulgariens Premierminister Boiko Borissow sowie die Präsidenten aus Russland, der Türkei und Serbien, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Aleksandar Vucic.

Öffneten die Gasleitung: (von links) Bulgariens Premierminister Boiko Borissow sowie die Präsidenten aus Russland, der Türkei und Serbien, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Aleksandar Vucic.

Foto: AP/Lefteris Pitarakis

Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin haben sich zu Friedensbringern für Libyen erklärt. Die beiden Länder seien zu guten Weggefährten geworden, sagte der türkische Präsident am Mittwoch bei einem Treffen mit dem russischen Staatschef in Istanbul. Mit Blick auf Libyen, Syrien und den iranisch-amerikanischen Streit betonte Putin, entgegen aller Versuche, die Spannungen in der Region zu erhöhen, werde die Zusammenarbeit zwischen Ankara und Moskau immer enger.

Putin präsentierte sich in Istanbul als Vertreter eines Staates, der sich als neue Führungskraft in Nahost versteht: Er kam direkt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Zusammen mit der Türkei beansprucht Russland ab sofort auch die Rolle einer Ordnungsmacht in Libyen. Die beiden Politiker forderten eine Waffenruhe in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland ab Mitternacht zwischen Samstag und Sonntag.

Erdogan und Putin weihten in Istanbul die mehr als 900 Kilometer lange Gaspipeline TurkStream ein, die pro Jahr 31,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland durch das Schwarze Meer bringen soll. Die Hälfte des Gases ist für die Türkei bestimmt, die damit nach Erdogans Worten 15 Millionen Haushalte versorgen kann. Die andere Hälfte geht nach Europa.

Das Projekt verstärkt die Abhängigkeit der Türkei von Russland als Energielieferant, doch das ist nicht der einzige Bereich, in dem Ankara auf ein gutes Verhältnis zu Moskau angewiesen ist. In Syrien hat Russland alle Karten in der Hand – ohne Putins Zustimmung wäre die jüngste türkische Militärintervention dort nicht möglich gewesen.

Die Zusammenarbeit beider Länder, die nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges 2015 an der türkisch-syrischen Grenze noch am Rande eines Krieges standen, hat die traditionelle Westbindung der Türkei erheblich gelockert. Ankara hat ein russisches Flugabwehrsystem gekauft und setzt wie Russland darauf, den Einfluss der USA im Nahen Osten zurückzudrängen. Washington ist wegen der türkisch-russischen Harmonie besorgt und will mit Sanktionen gegen die TurkStream-Pipeline vorgehen. Erdogan und Putin zeigten sich davon unbeeindruckt. Die Türkei und Russland würden noch viele Projekte gemeinsam anpacken, sagte Putin.

Erdogan warnt seit Wochen vor einer drohenden neuen Flüchtlingswelle aus der syrischen Provinz Idlib in die Türkei. In Idlib rücken syrische Regierungstruppen mit russischer Unterstützung gegen Rebellen vor; die Kämpfe haben hunderttausende Menschen an die türkische Grenze getrieben. Erdogan und Putin hatten im September 2018 ein Waffenstillstandsabkommen für Idlib geschlossen, doch in jüngster Zeit hat die russische Regierung ihre Hilfe für die syrischen Truppen beim Vormarsch in der Provinz verstärkt.

Viel bewegen konnte Erdogan am Mittwoch bei Putin nicht. In einer gemeinsamen türkisch-russischen Erklärung nach dem Treffen in Istanbul bekräftigten beide Seiten lediglich ihre Entschlossenheit, alle Vereinbarungen in Idlib umzusetzen – ein russisches Entgegenkommen war für die Türkei nicht drin.

Anders sah es beim Thema Libyen aus. Kurz vor Putins Besuch hatte Erdogan den Beginn der türkischen Truppenentsendung in das nordafrikanische Land bekannt gegeben. Die Türkei unterstützt in Libyen die Einheitsregierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, die sich gegen einen Angriff des Rebellengenerals Chalifa Haftar wehrt. Russland gehört zu den Unterstützern Haftars.

In Istanbul rissen Erdogan und Putin mit ihrer Forderung nach einer Waffenruhe in Libyen trotz ihrer Interessengegensätze die Initiative an sich – und signalisierten damit, dass sie andere Akteure wie die Vereinten Nationen oder die europäischen Staaten verdrängen wollen. Eine militärische Lösung für Libyen gebe es nicht, betonten sie, obwohl sie selbst militärisch in dem Land mitmischen.

Alle Konfliktparteien in Libyen sollten sich an einen Tisch setzen, forderten Russland und die Türkei weiter. Damit setzten sich Erdogan und Putin an die Spitze einer Initiative, die von der Bundesregierung gestartet worden war: Sie will Ende Januar in Berlin eine Friedenskonferenz für Libyen ausrichten.

Mehr Einfluss in Libyen würde Russland und der Türkei mehr Druckmittel gegenüber den Europäern in die Hand geben. Libyen ist der wichtigste Ausgangspunkt für Bootsflüchtlinge aus Afrika, die nach Europa wollen. Offenbar gehen Erdogan und Putin davon aus, dass sie ihre jeweiligen Partner in Libyen zu Kompromissen zwingen können. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe erklärten sie, angestrebt werde ein „politischer Prozess unter libyscher Führung“.

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