Griechenland-Krise Ratlos und mit Wut im Bauch

Ob der Varoufakis-Rücktritt alleine reicht, um die Lage zu entspannen, ist eine offene Frage.

Der Störenfried ist weg. Wie gerne hätte die EU diese Nachricht am frühen Morgen nach einem anderen Ergebnis des Referendums in Griechenland gehört. Die Euro-Finanzminister standen bereit, die Staats- und Regierungschefs auch. Der 54-jährige Gianis Varoufakis, der die Verhandlungen mit den Geldgebern auf so unvergleichlich penetrante Weise aufgehalten, ja gestört hatte, hätte endgültig nicht mehr mit am Tisch gesessen. Aber die Lage ist anders. Athen versank in einem Siegestaumel, den - so ein hellenischer Europa-Abgeordneter - man "zum letzten Mal bei Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 erlebt hat".

Dabei ist nichts gelöst. Von einer "Erleichterung" der Gespräche durch den Varoufakis-Rücktritt spricht Parlamentspräsident Martin Schulz. Aber er sagt auch: "Es hängt nicht davon ab, wer verhandelt, sondern über was verhandelt wird." Genau das weiß niemand. Zwar hat Athens Premierminister Alexis Tsipras bereits am Sonntagabend angedeutet, sein Land sei zu Reformen bereit. Dringend nötig seien aber auch Investitionen sowie die Umstrukturierung der Schulden. "Das Mandat, das Sie mir erteilt haben, ruft nicht nach einem Bruch mit Europa, sondern verleiht mir eine größere Verhandlungsmacht", sagte er vor seinen Landsleuten. "Augenwischerei", hieß es am Montag nach dem Auftritt und der Abstimmung, bei der sich über 61 Prozent der Wähler gegen die Reformauflagen der Geldgeber ausgesprochen hatten. Griechenland beginnt, von einem Tag auf den nächsten zu leben.

Erneute Treffen am Dienstag

Zwar telefonierten schon am frühen Morgen die Spitzen der EU-Institutionen, Jean-Claude Juncker (Kommission), Donald Tusk (Europäischer Rat), Mario Draghi (Europäische Zentralbank) und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, miteinander. Am Dienstag werden die Euro-Finanzminister und am Abend die Staats- und Regierungschefs der Währungsunion zusammenkommen. Doch die entscheidende Runde dieses Montags fand in der Chefetage der Frankfurter Euro-Bank statt: "Die EZB wird nicht den Stecker ziehen", mutmaßte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Michael Fratzscher, bevor die Entscheidung fiel: Griechenlands Banken hätten genug Reserven, um ohne Liquiditätshilfen bis Mittwoch zu überleben. Morgen werde man noch einmal beraten. Mit anderen Worten: Man warte den Auftritt von Tsipras ab.

Sollte Athen am 20. Juli nicht seine Rate von gut 3,5 Milliarden Euro nach Frankfurt zahlen, muss die EZB ihren Regeln folgen und die Kredite kündigen: Griechenland würde endgültig abstürzen. Doch an diesem Montag geht das noch einmal gut. Auch wenn niemand weiß, wie. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich am Abend mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande in Paris beriet, schloss ein drittes Hilfspaket jedenfalls aus. Sie weiß, dass sie damit sonst die eigenen Reihen im Bundestag gegen sich aufbringen würde.

Hollande fordert langfristige Lösungen

Hollande forderte am Abend langfristige Lösungen, es bleibe nicht mehr viel Zeit. Denkbar wäre ein Griff in die Kriegskasse des dauerhaften ESM-Rettungsschirms in Luxemburg. Schließlich liegen dort Kreditzusagen von über 700 Milliarden Euro als "Stabilitätshilfe unter angemessenen Auflagen", wie es in Artikel 12 des ESM-Vertrages heißt. Doch im Abschnitt a) wird auch festgestellt, dass dazu eine "Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten vorliegen muss." Man wird sich schwer tun, diese Notlage nun plötzlich auszurufen. Immerhin hatte der für den Euro verantwortliche Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am Montagmittag nochmals unterstrichen: "Die Stabilität der Euro-Zone ist nicht infrage gestellt."

So warten die 18 Partner Griechenlands in der Währungsunion seit Montag (und bisher vergeblich) auf "neue Vorschläge aus Athen", wie es Brüsseler Diplomaten ausdrückten. Nachdem bisher schon insgesamt 18 Angebote, Vorlagen, Listen und Kataloge gescheitert sind, hat an diesem Montag niemand in der EU-Chefetage eine Ahnung, woher eine Lösung kommen sollte. Dass Tsipras am Dienstag in Brüssel anders auftreten, ja verbal abrüsten muss, wird allgemein erwartet.

Entlassung als Signal

Die Entlassung seines umstrittenen Finanzministers, den Tsipras am Nachmittag durch den bisherigen stellvertretenden Außenminister Euklidis Tsakalatos ersetzte, war zweifellos ein Signal - auch wenn der Chef der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herbert Reul, das Manöver als "Taschenspielertrick" bezeichnet und offen ausspricht, was andere nur denken: "Ich verstehe nicht, warum wir auf Brüsseler Ebene nun schon wieder über weitere Verhandlungen sprechen. Es muss doch jedem klar sein, dass griechische Versprechungen für Verhandlungen leere Versprechungen sind."

Tatsächlich hat sich die Athener Seite bisher in einem Punkt als verlässlich erwiesen - wenn es um die eigenen Forderungen geht. Zuletzt pochte man auf 29 Milliarden Euro für zwei Jahre, finanziert durch den ESM-Rettungsschirm. Damit sollten die innerhalb der nächsten 24 Monate anfallenden Raten für die EZB und den Internationalen Währungsfonds (IWF) beglichen werden. Außerdem wollte man die Schulden umstrukturieren. Was nun kommen könnte, ist unklar. Tsipras wird sich am heutigen Dienstag den Staats- und Regierungschefs stellen. Die erwarten von ihm ein Angebot und nicht nur Forderungen.

Reaktionen aus Europa

Europas Reaktion an diesem Montag hat viel mit Ratlosigkeit, aber wohl auch mit unterdrückter Rache über die bisherige Behandlung durch ein Land zu tun, das "letzte Brücken eingerissen hat, über die man sich auf einen Kompromiss hätte zubewegen können", wie es der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ausdrückte. Doch solche Analysen mit viel Wut im Bauch müssen spätestens heute zur Seite geschoben werden. Denn wenn am Abend die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, zählt nur noch eines: Ein Ausweg muss gefunden werden.

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