Kommentar zur Gesundheit von Hillary Clinton Schein und Sein

Meinung | Washington · Hillary Clinton hat sich selbst zuzuschreiben, dass sich das Land nun zur gemeinschaftlichen Visite argwöhnisch über sie beugt.

Acht Wochen vor der Präsidentschaftswahl schiebt sich in Amerika plötzlich die H-Frage in den Vordergrund. H wie „Health“. Gesundheit. Besser spät als nie. Schließlich sind es zwei Senioren, die da im Januar nächsten Jahres ins Weiße Haus einziehen wollen. Hillary Clinton wäre am ersten Amtstag 69 Jahre alt – und damit so betagt wie Ronald Reagan zum Start seiner Regentschaft. Donald Trump wäre zu Beginn mit 70 der älteste Commander-in-Chief in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Da liegt die Frage auf der Hand: Haben sie wirklich genug Stehvermögen, um mindestens vier Jahre lang der beinharten Belastung im Amt zu widerstehen?

Der hyperventilierende Wahlkampf mit seiner fast 18 Monate dauernden Tortur der triathletischen Dauerpräsenz am Boden, in der Luft und im Fernsehen erfüllt dabei die Funktion eines unbarmherzigen Trainingslagers. Hillary Clinton läuft gerade Gefahr, alles zu verspielen. Ihr auf Handyvideos dokumentierter Zusammenbruch während der Feierlichkeiten zum 15. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September in New York und der unkluge Umgang mit den Hintergründen bedeuten eine Zäsur. Nicht der medizinischen Tragweite wegen, da darf man die Kirche getrost im Dorf lassen. Dass die ehemalige First Lady bis zum Wahltag am 8. November bohrende Fragen nach ihrem tatsächlichen Ist-Zustand nicht mehr los wird, hat andere Gründe.

Es geht um Schein und Sein. Hillary Clinton hat sich selbst zuzuschreiben, dass sich das Land nun zur gemeinschaftlichen Visite argwöhnisch über sie beugt. Ihre Vorgeschichte – mehrere Blutgerinnsel in den Beinen und im Kopf inklusive Sturz – wurde nie transparent besprochen. Auch darum häufen sich im Internet Verschwörungstheorien, die ihr jede Befähigung zum Spitzenamt absprechen.

Anstatt früh und offen einzuräumen, dass sie eine Lungenentzündung verschleppt hat und ein paar Tage kürzertreten muss, verheimlichte ihre Kampagne die Erkrankung. Bis es nicht mehr anders ging. Das hat – wie bei der E-Mail-Affäre, die ihr weiter schwer ins Kontor schlägt – Methode. Selbst wenn man anerkennt, dass sie sich in einem historischen Moment keine Blöße geben wollte, ist die Geheimniskrämerei nur dies: unsouverän und überflüssig. Ein ehrliches Wort hätte sie menschlich(er) gemacht. Die Genesungstelegramme wären zu Zigtausenden eingegangen.

Die USA werden durch die Patientin Clinton wieder daran erinnert, dass die gesundheitlichen Führungszeugnisse des Spitzenpersonals in Washington mit Vorsicht zu genießen sind. Immer wieder wurden – von Woodrow Wilson über John F. Kennedy bis zu Ronald Reagan – chronische Leiden, die der Amtstauglichkeit tatsächlich abträglich waren, verschleiert oder geleugnet. Die Frage ist nun, wie schnell die zähe Clinton wieder auf die Beine kommt und die Zweifel an ihrer Physis zerstreuen kann. Davon wird abhängen, ob Donald Trump von der Malaise seiner Rivalin profitieren kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort