Heiliges Jahr der Barmherzigkeit Schutzengel für die Ewige Stadt

Rom · Mit gefalteten Händen sitzt der Mann auf dem Podium und lauscht sichtbar angetan seinen katholischen Vorrednern. Es geht um Barmherzigkeit, es geht um den Papst.

 Die Umgebung des Vatikans gleicht einer militarisierten Zone: Polizei und Carabinieri vor dem Petersplatz.

Die Umgebung des Vatikans gleicht einer militarisierten Zone: Polizei und Carabinieri vor dem Petersplatz.

Foto: dpa

Es geht um ein Ereignis, dem sich die Stadt Rom eher wie ein Schiffbrüchiger auf einem kleinen Stück Holz als in Vorfreude auf ein freudiges Event genähert hat. Als Papst Franziskus im März das außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausrief, da schlugen nicht wenige Verantwortliche die Hände über dem Kopf zusammen. Mafia-Skandal in der Stadtverwaltung, verschmutzte, löchrige und vermüllte Straßen, Verkehrsbetriebe im Dauerchaos, die schönste Stadt der Welt am Rande des Nervenzusammenbruchs. Jetzt kommt auch noch die Terror-Angst hinzu. Aber Franco Gabrielli, der Polizeipräfekt der Stadt Rom, sagt: "Dieses Jubiläum ist kein Problem für die Stadt, sondern eine große Chance."

Wie er das genau meint, weiß man nicht. Nur: Was hätte er anderes sagen sollen neben Kardinälen und Bischöfen, denen man ein paar Tage vor Beginn des Giubileo ihre Stoßgebete förmlich ansieht? Soll man dem Mann wirklich glauben, der vom Vatikansprecher als "Schutzengel des Heiligen Jahres" apostrophiert wurde? Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der bei dieser Buchvorstellung wenige Tage vor Beginn des Großereignisses neben Gabrielli auf dem Podium sitzt, guckt den römischen Polizeichef mit ernster Mine an, ein Gesicht wie aus Stein, der Mund ein gerader, besorgter Strich. Auch Erzbischof Rino Fisichella, vatikanischer Organisator des Heiligen Jahres, blickt finster drein. Man könnte meinen, dass seit den Attacken von Paris bei den Verantwortlichen im Vatikan die Hoffnung auf den Allmächtigen einem Hoffen auf Gabrielli immer ähnlicher geworden ist.

Morgen will Papst Franziskus das von ihm selbst angekündigte Heilige Jahr mit der Öffnung der Heiligen Pforte im Petersdom einweihen. Auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sein Kommen angekündigt. Das außerordentliche Jubiläum ist der Barmherzigkeit gewidmet, und doch steht es nach den Terrorattacken vor drei Wochen in Paris vor allem unter dem Eindruck starker Sicherheitsvorkehrungen. "Offene Türen" wünschte sich der Papst, aber dieser Tage wurden Dutzende zusätzliche Metalldetektoren und Gepäckscanner an den Zugängen zum Petersplatz angebracht.

Die Umgebung des Vatikans gleicht in diesen Tagen einer militarisierten Zone. Fahrzeuge von Polizei, Carabinieri und Militär stehen bestens sichtbar in Nähe des Petersplatzes. Die Einsatzkräfte sind mit Maschinenpistolen bewaffnet. 2000 Polizisten sollen ab morgen im Einsatz sein, dazu 300 Soldaten und etliche Beamte in Zivil. Seit Sonntag ist nicht nur der Transport von Waffen, Munition, Sprengstoff, giftiger Substanzen, sondern auch Feuerwerkskörper sind in der Stadt verboten. Ab Montagnacht sind für 24 Stunden Benzintransporte untersagt. Sogar Filmsets, auf denen Waffen zum Einsatz kommen, müssen verschoben werden. Über Rom herrscht morgen Flugverbot. Die Beteuerungen der Verantwortlichen, irgendwelchen diffusen Ängsten nicht nachzugeben, wird von den extremen Sicherheitsvorkehrungen kontrastiert.

Es wirkt so, als könnte sich das bis 20. November 2016 dauernde Jahr der Barmherzigkeit in Rom in ein Jahr der Verunsicherung verwandeln. Der Zulauf zu den Generalaudienzen des Papstes ist gering, zuletzt kamen gerade einmal 10 000 Menschen. Auch die Schätzungen, dass zwischen 20 und 30 Millionen Touristen bis Ende des Jubiläums im November 2015 kommen, wurden zurückgeschraubt. Viele Urlauber und Pilger stornieren ihre Reisen. Zur Einweihung morgen erwartet Polizeipräfekt Gabrielli keinen großen Zulauf. Von 50 000 bis 100 000 Pilgern ist die Rede. Ein Klacks im Vergleich zu sonstigen Großereignissen im Vatikan.

Gabrielli, der im April von der Regierung zum Polizeichef berufen wurde, ist so etwas wie die Risikoversicherung für das geschrumpfte Massenevent. Der 55-Jährige ist vor allem bekannt, seit er in seiner Funktion als Chef des italienischen Katastrophenschutzes die Bergung und Aufrichtung des im Januar 2012 vor der Insel Giglio havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia koordinierte. Als "Sbirro", also als "Bulle", bezeichnet sich der gebürtige Toskaner selbst. Gabrielli ist und fühlt sich in erster Linie als Polizist und als einer, der nach Jahren in der Terrorismus-, in der Mafiabekämpfung und beim Geheimdienst Gefahrenlagen einzuschätzen weiß. "Als mich mein Sohn fragte, wie er sich nach den Angriffen in Paris verhalten sollte, habe ich ihm gesagt, er soll sein Leben so wie bisher weiterleben", sagt Gabrielli. Er muss, vielleicht mehr noch als die Prävention vor irgendeinem Angriff, in erster Linie die Emotionen in den Griff bekommen.

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