Ausstellung im Stadtmuseum Stadtgeschichte vom Dachboden

Bonn · Die bis zum 9. November laufende Ausstellung im Stadtmuseum ist etwas Besonderes, denn der Großteil des Materials erblickt zum ersten Mal das Licht der Öffentlichkeit. Auch Aufrufe im General-Anzeiger veranlassten viele Familien zur Suche.

 Nicht zu überhören sind die "160er" bei ihren Märschen rund um die Ermekeilkaserne - für die Kinder eine Attraktion.

Nicht zu überhören sind die "160er" bei ihren Märschen rund um die Ermekeilkaserne - für die Kinder eine Attraktion.

Foto: Stadtmuseum Bonn

Man kann sich nicht aussuchen, wann man geboren wird. Glück, Sorgen und Zukunftsträume gibt es zu allen Zeiten. Sogar dann, wenn streng genommen nichts passiert. Studentenleben etwa kann von Erstsemesterpartys und der Hauptsorge um einen Sitzplatz im überfüllten Hörsaal geprägt sein.

Für andere vorher mag dort beklemmende Leere die Konzentration gestört haben: Weil die letzte Feldpostkarte des Freundes schon drei Wochen alt war. Man kann, je nach Geburtsjahr, zum Zeitzeugen einer Friedensbewegung oder einer Ukraine-Krise werden; man kann die Wahl haben, einen Bundesfreiwilligendienst im Vogelschutzgebiet zu leisten. Und man kann sich im kollektiven Rausch einer Mobilmachung in einem ratternden Waggon voller Kriegsfreiwilliger wiederfinden.

So wie all die zumeist jungen Leute, die das Stadtmuseum noch bis zum Ende der kommenden Woche in einer bemerkenswerten Ausstellung in Erinnerung ruft. Gezeigt werden Fotos und Erinnerungsstücke von Bonner Soldaten im Ersten Weltkrieg. Was gewöhnlich klingt, hat in mehrfacher Hinsicht das Zeug zu einem mittleren Paukenschlag in der Historiographie der Stadt Bonn.

Nicht nur, dass das Konvolut einmaliger Bilddokumente ein haptischer Beweis dafür ist, welche Verbreitung die Fotografie im Alltag der Menschen in der Universitäts-, Residenz- und Garnisonsstadt bereits vor hundert Jahren gefunden hat. Wären schon Fotohandys auf dem Markt gewesen, die Bonner hätten davon wohl ausgedehnt Gebrauch gemacht. Vor allem aber rührt die Exklusivität der Aufnahmen daher, dass eine große Zahl der Bilder, Briefe, Tagebücher und Zeitzeugnisse das Jahrhundert buchstäblich verschlafen haben.

Und somit erblickt ein Großteil erstmals das Licht der Öffentlichkeit. Dass er es überhaupt tut, spricht für einen hohen Identifikationsgrad vieler Bonner mit der Geschichte ihrer Stadt: Zahlreich hatten sie auf einen Aufruf von Kurator Horst-Pierre Bothien, nachdrücklich verbreitet auch über den General-Anzeiger, reagiert. Anlass für viele Leser, Schubladen, Alben und Kartons zu öffnen.

50 Familien haben sich gemeldet, um Material zur Verfügung zu stellen. Zu viel für eine Ausstellung, die sich lediglich über zwei Räume erstreckt. Klar ist aber: Sämtliche Leihgaben werden gesichtet, ausgewertet und, soweit möglich, als Kopien ihren Eingang in die Sammlungen der Stadt finden. "Es geht hier nicht um die große Geschichte, die großen Schlachten oder gar um die Kriegsschuldfrage", präzisiert Bothien die Stoßrichtung der Ausstellung: "Die einfachen Soldaten stehen im Vordergrund, die sich willig oder auch gedrängt zu den Waffen meldeten." Gemeinsam ist ihnen allen eines: Sie waren entweder in Bonn geboren oder hatten hier ihren Lebensmittelpunkt.

Da ist der mit dem schmunzelnden Blick, die linke Hand lässig in der Hosentasche, in der Rechten eine Zigarette und die Pickelhaube ein wenig schief auf dem Kopf - um Millimeter nur, aber den künstlerischen Freigeist unterm Helm unleugbar entlarvend. War der nicht noch jüngst mit dem Skizzenblock durch die Gassen des tunesischen Örtchens Sidi Bou Said gezogen? War er. Das Foto zeigt den Bonner Maler August Macke, 27-jährig, kurz vor dem Krieg auf dem Truppenübungsplatz Elsenborn im Hohen Venn. Der sich so fröhlich und zupackend unterhakt, ist sein Bonner Kamerad Michel Horster (25) aus der Baumschulallee.

Ganz offenbar nehmen die beiden Angehörigen des Infanterie-Regiments 160 aus der Ermekeilkaserne den Aufenthalt an dem vielgeschmähten, unwirtlichen Ort mit Humor - was man von ihren eher betreten dreinschauenden Kameraden hinter ihnen nicht gerade behaupten kann. Dennoch: Für die beiden Unverdrossenen ist der Kriegsausbruch der Anfang vom Ende. Ihre Heimatstadt und ihre Familien sehen die Zwei nicht wieder.

Beide finden den Tod in der Champagne, beide am selben Tag, dem 26. September 1914. "Leutnant Horster fällt, als er mit ausgebreiteten Armen seinen Leuten die Richtung weist", heißt es in der Regimentsgeschichte.

Was mag jemand empfinden, der vor Schmerzen deliriert und dessen Augen ihn halbwach im lichten Gewölbe einer Kirche wähnen? Wie die berühmte frühgotische Kathedrale von Laon als Lazarett genutzt wurde, hat Josef Weingarten aus der Acherstraße seinen Verwandten per eindrucksvoller Feldpostkarte übermittelt. Weingarten überlebte diesen und den nächsten Krieg und starb 1963 in Bonn.

Überlebt hat das Grauen auch einer, der später selbst aktiv in die Bonner Stadtgeschichte eingreifen wird. Dass er von einem allzu gewöhnlichen Leben nicht sonderlich viel zu halten scheint, beweist der Reserveoffizier Eduard Spoelgen jedoch bereits 1914, als er sich mit 37 Jahren noch freiwillig zu den Waffen meldet. Das Foto, entstanden am 30. Juli 1916, zeigt ihn hoch zu Ross bei Rethel an der Aisne. Prompt wird er nach einem Einsatz hochdekoriert, macht sich aber auf andere Weise (und vermutlich nicht mit dieser Intention) um die spätere Quellenlage zum Ersten Weltkrieg verdient, indem er ausführlich und akribisch Tagebuch führt.

1924 übernimmt er als Baudezernent kommissarisch das Amt des Bonner Oberbürgermeisters und verteidigt das Rathaus gegen die Separatisten. Später wird er von den Nationalsozialisten zwangsweise in Pension geschickt, von der amerikanischen Besatzungsmacht zurückgeholt und bleibt dann noch einmal von 1946 bis 1948 Oberbürgermeister.

Ach, und hier: Die fünf Infanteristen im Feldquartier, denen die Absender eines Feldpostpakets mit dem General-Anzeiger ganz offensichtlich mindestens so viel Freude bereiten wie Tabak und Wein, die man zur Lektüre genießt. "Zum Frieden bereit, zum Kampf entschlossen", titelt der GA in jener Ausgabe. Das Foto entsteht in Ost-Galizien, denn auch an der Ostfront trifft man auf Bönnsche Tön. Und geschrieben wird in diesem Krieg: Briefe, Karten, Tagebuch. Alltagsnotizen mischen sich mit Skizzen, Nachdenklichem und Literarischem. So wie im minuziösen Kriegstagebuch von Hubert Grouven. Beginn: 1. August 1914, Ende: 9. November 1918.

Und daheim? Ernst, Hoffen, Bangen prägen die wenigen Aufnahmen, die das Geschehen in Bonn widerspiegeln. Allenfalls ein verlegenes Lächeln ist zu sehen. Nur die Kinder auf der Ermekeilstraße freuen sich sichtlich über die Attraktion, wenn wieder, der Gleichschritt weithin hörbar, eine Kompanie über das Kopfsteinpflaster rauscht. Begeisterung und Jubel allerdings, die sucht man auch auf diesem Bild vergebens.

Info

Stadtmuseum Bonn, Franziskanerstraße 9, bis 9. November. Öffnungszeiten: Mi. 9.30 bis 14 Uhr, Do. bis Sa. 13 bis 18 Uhr, So. 11.30 bis 17 Uhr. Katalog: 128 Seiten, 19,95 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort