Atomenergie Strahlende Zukunft

Brüssel · Ein EU-Papier zur Förderung neuer Atomkraftwerke löst Wirbel aus. Der Hintergrund: Die EU droht ihre Klimaschutzziele zu verpassen.

 In Deutschland ist Atomkraft ein Auslaufmodell: Das Kraftwerk in Philippsburg.

In Deutschland ist Atomkraft ein Auslaufmodell: Das Kraftwerk in Philippsburg.

Foto: dpa

Deutschland gibt sich gerne als Missionar in Sachen Atomkraft. Lange bevor 2022 der letzte Meiler vom Netz gehen wird, umwirbt die Bundesrepublik bereits ihren belgischen Nachbarn, damit der die beiden maroden Reaktoranlagen Tihange und Doel endlich stilllegt. Derweil werden nur knapp 100 Kilometer weiter in Brüssel offenbar bereits neue Pläne für eine strahlende Zukunft geschmiedet. Schließlich solle die EU in Fragen der Kernenergie auch künftig eine technologische Führerschaft übernehmen, heißt es in einem Dokument, bei dem es sich angeblich um ein Strategiepapier der Behörde handeln soll und das gestern bekannt wurde.

Kommissionssprecher Margaritis Schinas versuchte schnell, das aufglimmende Feuer auszutreten. Es handele sich lediglich um eine Diskussionsgrundlage von Fachleuten innerhalb der EU-Institutionen und „nicht um einen konkreten Vorschlag“. Schinas wörtlich: „Wenn zwei Wissenschaftler ein Papier teilen, ist das noch keine Meinung der Kommission.“

Der Versuch einer Beruhigung misslang. Zu genau entsprechen die Positionen des Dokumentes der bisherigen Linie mehrerer Europäischer Kommissionen. Zwar hat die Kommission beim Energiemix der Mitgliedstaaten nichts zu sagen. Doch steuert sie die Förderinstrumente, die zur Finanzierung genutzt werden könnten. So wird jetzt angeregt, Gelder des 315-Milliarden-Pakets, das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Amtszeit angestoßen hatte (offiziell der „Europäische Fonds für strategische Investitionen“), ebenso zu nutzen wie die Forschungstöpfe der EU. Weiteres Geld zur Investition in künftige Kernkraftwerke könnte die Hausbank der EU, die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg, beisteuern.

Der Versuch, die Rahmenbedingungen für Investitionen in die Kernenergie von morgen zu verbessern, passt zu den Bemühungen Brüssels, neue Reaktortechnologien zu unterstützen und auch flexible Mini-Reaktoren zu ermöglichen, da diese CO2-arme Energiegewinnung für das Erreichen der Klimaschutzziele nahezu unumgänglich ist. Ähnliche Diskussion gab es auch früher immer wieder, weil die Kommission zumindest den Eindruck erweckte, auch Finanzmittel aus der Infrastrukturförderung für den Bau neuer Meiler bereitstellen zu wollen.

Dazu kam es nicht. Dennoch zeigten sich frühere Kommissionen immer wieder flexibel gegenüber ihren Grundsätzen, wenn es um die Atomkraft ging. So erlaubte Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia im Oktober 2014, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, den Betreibern des seit 20 Jahren ersten neuen Reaktors in Großbritannien einen staatlich garantierten Abnahmepreis von rund 110 Euro pro Megawatt plus Inflationsausgleich für 35 Jahre.

Mit freiem Wettbewerb hat das wenig zu tun tun. Zwar betreiben derzeit nur noch 14 Mitgliedstaaten Atomkraftwerke, aber zehn planen neue Anlagen. Dafür suchen die Konzerne nach Finanzquellen. Brüssel könnte in Versuchung kommen einzuspringen.

Allerdings wird auch das Thema Sicherheit im Papier groß gespielt. So soll das Problem des Materialstresses bei älteren Anlagen ausführlich untersucht werden – dass die beiden maroden belgischen Anlagen dabei im Blickfeld sind, steht außer Frage. Ergebnisse sind für 2025 geplant. Vorausgesetzt das Dokument schafft den Sprung, als offizielle Strategie der Kommission anerkannt zu werden.

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