Vorschlag zur internationalen Schutzzone Was die EU und Deutschland im Syrien-Konflikt tun müssen

Berlin · Dass die Diskussion um den Vorstoß der Bundesverteidigungsministerin für eine internationale Schutzzone in Nordsyrien zu einem derart großen Aufruhr führt, hat zuvorderst mit dem Vorgehen von Annegret Kramp-Karrenbauer zu tun.

 Auftritt in Brüssel: Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer trifft bei der Nato-Sitzung ein.

Auftritt in Brüssel: Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer trifft bei der Nato-Sitzung ein.

Foto: dpa/Virginia Mayo

Ein Gradmesser dafür, ob eine öffentliche Debatte ein tief sitzendes Problem trifft, ist oft die Emotionalität, mit der sie zu Beginn geführt wird. Ohne Absprache mit dem Koalitionspartner SPD und mit den internationalen Verbündeten hat sie ihre Vorschläge in den abendlichen Fernseh-Nachrichtenmagazinen präsentiert. Der Zorn des Koalitionspartners ist nachvollziehbar. Die Debatte hat aber auch diese Fahrt aufgenommen, weil die CDU-Chefin den Zustand angesprochen hat, dass die Europäer nur Zaungast sind, wenn in ihrer Nähe ein Bürgerkrieg stattfindet und Menschenrechtsverletzungen geschehen.

Nach ihrem Auftritt bei der Nato am Donnerstag in Brüssel hat Generalsekretär Jens Stoltenberg den Syrien-Vorstoß der Verteidigungsministerin nüchtern eingeordnet. Grundsätzlich begrüßte er das inhaltliche Anliegen, mahnte aber, dass es offene Fragen gebe. Aus der Diplomatensprache übersetzt heißt das: Das wird nicht funktionieren. Die Chance, dass eine unter UN-Mandat eingerichtete Schutzzone in Nordsyrien entstehen kann, ist verschwindend gering. Längst haben sich die Präsidenten der Türkei und Russlands, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, die Einflusszonen aufgeteilt.

Deutschland, die Europäer und auch die Nato stehen düpiert da. Sie brauchen dringend eine Strategie, wie sie sich für die Zukunft besser aufstellen, um die Weltpolitik vor der eigenen Haustür nicht den Launen eines amerikanischen Präsidenten und nicht der territorialen Gier eines russischen Präsidenten  zu überlassen.

Zunächst zu Europa: Typisch EU ist es, Konflikte mit Diplomatie und Geld zu lösen. Im Vergleich zur militärischen Option ist das natürlich die richtige Variante. Die Europäische Union braucht zugleich aber mehr operative militärische Kraft, um auf der Weltbühne ernst genommen zu werden. Europa benötigt militärische Stärke, um sie im besten Fall eben nicht einsetzen zu müssen. Dafür müssen die europäischen Staaten, insbesondere die westeuropäischen, ihre Verteidigungsetats erhöhen. Zugleich gilt es, für die EU eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu organisieren, die diesen Namen verdient. Dazu würden auch multinationale europäische Truppen unter einem Kommando gehören.

Wie immer in der EU wird es schwierig werden, für ein solches Vorhaben alle Staaten mit ihren teils auseinanderstrebenden Interessen und ihren so unterschiedlichen Regierungen unter einen Hut zu bekommen. Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) schlägt in seinem Buch „Der Abstieg des Westens“, in dem er die Zukunft Europas in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts beschreibt,  ein Europa der zwei Geschwindigkeiten vor. Das heißt also, ein Bund einiger Länder soll voranschreiten und die anderen folgen lassen.

Der Gedanke des Europas der zwei Geschwindigkeiten ist fast so alt wie die EU selbst. Das Prinzip hat aber immer mal wieder funktioniert. Zugleich birgt es die Gefahr, dass die Gemeinschaft zerfällt – wie in der Flüchtlingskrise, in der aus den zwei Geschwindigkeiten ein Galoppieren in zwei verschiedene Richtungen wurde. Viel mehr Möglichkeiten gibt es für die EU nicht, wenn sie mehr außen- und sicherheitspolitische Relevanz erlangen möchte. Für Europa gilt immer noch die alte Frage des früheren US-Außenministers Henry Kissinger, welche Nummer er eigentlich wählen soll, wenn er in Europa anrufen möchte.

Zur Nato: Die transatlantischen Partner verstehen sich ihrer Selbstdefinition nach als Wertegemeinschaft und Verteidigungsbündnis. Sollte es heute zum Ernstfall kommen, können die Nato-Partner von der USA über die Türkei bis zu den europäischen Mitgliedern nicht mehr voll darauf vertrauen, dass die alten Versprechen auch eingelöst werden.

Die Wertegemeinschaft war historisch insbesondere gegen den Ostblock gerichtet. Seitdem sich die bipolare Welt aus West und Ost, aus Kapitalismus und Kommunismus,  aufgelöst hat, weiß die Nato nicht mehr so genau, wo der Feind steht. Das alte Verteidigungsbündnis hat es sträflich versäumt, sich auf die neue Weltordnung einzustellen, die sich seit dem Mauerfall vor 30 Jahren entwickelt hat. Die Nato-Partner haben sich zu lange in der Sicherheit gewiegt, dass sie ja die große Auseinandersetzung des Westens mit dem Osten für sich entschieden haben.

Anfang der 90er Jahre herrschte die Vorstellung, dass die Welt Schritt für Schritt eine immer friedlichere und freiheitlichere werden wird. Dann aber kamen die Anschläge vom 11. September 2001, knapp zehn Jahre später brach der arabische Frühling zusammen, und im Jahr 2014 annektierte Putin die Krim. Während es der Nato nach dem Anschlag auf das World Trade Center noch einmal gelang, gegen den islamistischen Terror zusammenzuhalten und sich auf diese Art der neuen Bedrohung einzustellen, hat sie es versäumt, sich für die neuen vielfältigen Konflikte strategisch zu rüsten.

Deutschland hat sich aus seiner alten Rolle des Heraushaltens aus allen internationalen Konflikten längst emanzipiert. Die Bundeswehr ist unter anderem in Einsätzen auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak und in Afrika. Das Kanzleramt vermittelt ebenso geräuschlos wie vielfältig in internationalen Konflikten. Unabgestimmt und unausgegoren hat sich die Verteidigungsministerin erstmals an die Spitze einer möglichen internationalen Intervention gesetzt. Das Ziel ist richtig, der Weg war es nicht.

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