Politik gegen Ausländer Tabubruch als politisches Programm

Rom · Italiens Innenminister Salvini macht Politik gegen Ausländer – und erhält viel Applaus. Zu Beginn dieser Woche verabschiedete die Regierung ein nach dem Innenminister benanntes „Sicherheitsdekret“.

 Der „Capitano“ schwimmt auf der Popularitätswelle: Italiens Innenminister Salvini. FOTO: AP

Der „Capitano“ schwimmt auf der Popularitätswelle: Italiens Innenminister Salvini. FOTO: AP

Foto: AP

Italiener haben ein Faible für scheinbar starke Männer. Der faschistische Diktator Benito Mussolini wird immer noch von vielen Landsleuten verehrt. Silvio Berlusconi bezirzte vor allem in den 90er Jahren Hausfrauen und Unternehmer. Seit einigen Jahren machen der lautstarke Komiker Beppe Grillo und die Fünf-Sterne-Bewegung von sich Reden.

Inzwischen hat Italien schon wieder einen neuen starken Mann: Matteo Salvini, geboren 1973 in Mailand, Journalist, Aktivist und seit Juni Innenminister und Vize-Ministerpräsident. Salvini ist Chef der stramm rechten Lega, die eigentlich nur Juniorpartner in der Regierung mit der Grillo-Bewegung ist. Aber alle Augen richten sich auf ihn, den Innenminister. „Capitano“, Kapitän, rufen ihn seine Anhänger.

Die Sehnsucht nach starken Männern wird größer, wenn man sich selbst als eher schwach empfindet. Dieses Gefühl ist in Italien seit Jahren verbreitet. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 ist dem Land die Strategie des Durchwurstelns abhanden gekommen.

Die Staatskassen sind leer, Brüssel wacht mit Argusaugen. In den vergangenen Jahren sind etwa eine halbe Million Migranten an den Küsten des Mittelmeer-Landes angekommen. Viele junge Menschen verlassen Italien, die Älteren im Land werden immer älter, die Geburtenrate ist die niedrigste in der EU. Wo man auch hinblickt, in den Norden oder Süden, die Stimmung ist verzagt in Italien. Beste Bedingungen für einen Volkstribun.

Erfasst und ausgenutzt

Matteo Salvini hat wie kein anderer Politiker in Italien die Depression, Angst und Wut seiner Landsleute erfasst und ausgenutzt. Bei den Wahlen im März erzielte seine Lega 17 Prozent der Stimmen, heute würden Umfragen zufolge mehr als 30 Prozent der Italiener der Lega ihre Stimme geben. Seit Juni ist Salvini im Amt, der frühere Mailänder Stadtrat und EU-Parlamentarier bombardiert seine Landsleute seither mit Parolen, jetzt sollen die Fakten folgen.

Zu Beginn dieser Woche verabschiedete die Regierung ein nach dem Innenminister benanntes „Sicherheitsdekret“. Danach werden Asylanträge ausgesetzt, wenn ein Antragsteller als „sozial gefährlich“ eingestuft wird. Asylanträge von Bewerbern, denen Drogenhandel oder Diebstahl angelastet wird, sollen abgelehnt werden.

Die Abschiebehaft darf künftig auf 180 Tage verlängert werden. Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen werden abgeschafft. Streifenpolizisten in den Städten sollen mit Elektroschockern ausgestattet werden. „Ich bin glücklich“, schrieb der Innenminister auf Twitter. „Ein weiterer Schritt, um Italien sicherer zu machen.“ Dazu setzte Salvini einen lachenden Smiley.

Die Italiener scheinen auf jemanden wie ihn gewartet zu haben. 72 Prozent von ihnen sind einverstanden mit der gnadenlosen Ausländerpolitik. Die Kompromisslosigkeit des Innenministers hat längst das Interesse im Ausland geweckt. Das US-Magazin Time brachte neulich eine Titelgeschichte über Salvini, unter seinem Foto die Worte: „Das neue Gesicht Europas“. Auch in der EU blicken die Radikalen voller Anerkennung nach Rom. Salvini macht radikale Politik gegen Ausländer und weite Teile der Bevölkerung applaudieren.

Italien fühlt sich im Stich gelassen

Für die Reaktion der Italiener gibt es vor allem zwei Gründe. Einerseits fühlt sich Italien, mit Griechenland eines der beiden großen Ankunftsländer für Migranten in der EU, seit Jahren von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen. Jahrelang war es nur eine Minderheit im Land, die sich über bettelnde Afrikaner auf den Bürgersteigen oder unkontrollierte Strandhändler aufregte.

Inzwischen beschweren sich immer mehr Landsleute über die Fremden, sie sind der Tropfen der das italienische Frust-Fass zum Überlaufen gebracht hat. Salvini hatte zudem den Vorteil, in ein Vakuum vorzustoßen. Seit dem Niedergang der Berlusconi-Partei Forza Italia gibt es keine schlagkräftige Partei rechts der Mitte. Der vielleicht wichtigste Schachzug Salvinis war, die frühere Lega Nord bei den Parlamentswahlen nun als „Lega“ erstmals italienweit aufzustellen.

Als erstes verweigerte der Innenminister mit Flüchtlingen beladenen Hilfsschiffen die Landung. Wenig später kündigte er eine Volkszählung von Sinti und Roma in Italien an. Seit Salvini im August verfügte, dass 177 Flüchtlinge tagelang auf dem Schiff Diciotti der italienischen Marine festgesetzt werden, ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft wegen Freiheitsberaubung gegen ihn.

Doch der Konsens in der Bevölkerung wirkt wie ein Schutzschild für den Innenminister. „Sollen sie mich doch festnehmen“, schrieb Salvini auf Twitter. „Ich bin stolz für die Verteidigung der Grenzen und die Sicherheit der Italiener zu kämpfen.“ Salvinis pausenlose Tabubrüche wären ohne die sozialen Netzwerke kaum vorstellbar. Kein Politiker in Italien ist präsenter, auf Facebook hat Salvini mehr als drei Millionen Likes. Seinen Twitter-Account bedient der Politiker mehrfach am Tag.

Der Seniorpartner von der Fünf-Sterne-Bewegung, die 32 Prozent der Stimmen bei den Wahlen erreichte, hat das Nachsehen. Auch deshalb wird in Rom längst über ein vorzeitiges Ende der Koalition spekuliert. Das im Herbst zu verabschiedende Haushaltsgesetz könnte ein geeigneter Vorwand sein. Bei Neuwahlen gilt Salvinis Lega als sicherer Sieger.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort