Auf dem Weg nach Deutschland Türkei schiebt sieben weitere mutmaßliche IS-Anhänger ab

Berlin · Die Türkei schiebt sieben weitere mutmaßliche IS-Anhänger nach Deutschland ab. Es soll sich dabei um eine siebenköpfige Familie handeln, die aus Niedersachsen stammen soll.

 Die Türkei schiebt sieben weitere mutmaßliche IS-Anhänger ab.

Die Türkei schiebt sieben weitere mutmaßliche IS-Anhänger ab.

Foto: dpa/Uncredited

Die Türkei hat sieben weitere mutmaßliche Anhänger des Islamischen Staates nach Deutschland abgeschoben: Am Donnerstag setzten die türkischen Behörden vier Frauen, zwei Männer und ein Baby in Istanbul auf einen Flug nach Berlin, wie in einem Video der Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ zu sehen war. Über die Identität der Abgeschobenen war zunächst nichts bekannt. Den deutschen Behörden zufolge sollte am Donnerstag eine siebenköpfige Familie aus Niedersachsen nach Deutschland zurückgeschickt werden, die unter IS-Verdacht festgenommen worden war. Auch das türkische Innenministerium hatte erklärt, es plane für Donnerstag die Abschiebung von sieben Deutschen nach Berlin und eines britischen IS-Anhängers nach London.

Der Videoclip der türkischen Nachrichtenagentur DHA zeigte einen weißen Kleinbus auf dem Rollfeld des Istanbul Flughafens neben einem Flugzeug. Ein älterer und ein jüngerer Mann stiegen aus und wurden von Polizisten eine Treppe zum Flugzeug hinauf geschickt, gefolgt von vier schwarz verhüllten Frauen, von denen eine ein Baby in den Armen hielt.

Laut Medienberichten waren die sieben Familienmitglieder Anfang des Jahres in die Türkei eingereist; in Syrien waren sie offenbar nicht. Beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen wisse man einiges über die Familie, da sie zuvor in Hildesheim gelebt habe, sagte LKA-Chef Friedo de Vries im NDR. In ihrer Zeit in Niedersachsen habe die Familie „sehr wohl Radikalisierungstendenzen gezeigt“. Eine Betreuung durch deutsche Diplomaten in der Türkei soll die Familie während der Haftzeit der vergangenen Monate abgelehnt haben.

Es liegen keine Haftbefehle vor

Deutsche Haftbefehle liegen gegen die Mitglieder der Familie nicht vor. Auch andere Bundesbürger, die von der Türkei als IS-Verdächtige nach Deutschland geschickt werden sollen, werden nach ihrer Rückkehr wahrscheinlich auf freiem Fuß bleiben können. Dagegen wollen die französischen Behörden laut der Nachrichtenagentur AFP elf ihrer Staatsbürger nach ihrer Abschiebung durch die Türkei vor Gericht stellen. Ankara will auch zwei irische Staatsbürger deportieren. Türkische Medien berichteten, die türkischen Behörden wollten auf Wunsch der Herkunftsländer bei Kindern von IS-Mitgliedern mit Hilfe von DNA-Tests sicherstellen, dass es sich tatsächlich um Angehörige ihrer Staatsbürger handelt. Dann würden auch die Kinder abgeschoben.

Insgesamt hat die türkische Regierung in einem ersten Schritt die Rückführung von rund zwei Dutzend Ausländern angekündigt; ein Deutscher und ein Däne waren bereits am Montag deportiert worden, weitere Verdächtige sollen folgen. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte während eines Besuches in Washington am Mittwoch, in seinem Land seien 1216 ausländische IS-Mitglieder aus 40 Ländern inhaftiert. In Nord-Syrien habe die türkische Armee seit Beginn ihrer jüngsten Intervention vor einem Monat außerdem 287 weitere IS-Anhänger festgenommen. Außerdem sitzen mehrere hundert europäische IS-Mitglieder und ihre Kinder in syrischen Lagern, die südlich des türkischen Einmarschgebietes von der syrischen Kurdenmiliz YPG bewacht werden. Auch die YPG fordert die Herkunftsländer der Gefangenen auf, ihre Bürger zurückzunehmen. Die Türkei will die Abschiebungen auch dann durchziehen, wenn der Zielort von IS-Verdächtigen nicht sicher ist.

US-Bürger im Niemandsland festgehalten

Am Fall eines jordanischstämmigen US-Bürgers, der in Syrien zum Islamischen Staat gehört haben soll und dort von der türkischen Armee festgenommen wurde, statuierten die türkischen Behörden ein Exempel: Der 39-jährige Muhammad Darwis B. saß fast vier Tage lang im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland fest. Die USA hatten zunächst die Einreise von B. abgelehnt, weshalb er nach Griechenland gebracht werden sollte – aber auch dort wollte man ihn nicht haben. Seit Montag musste B. deshalb zwischen den türkischen und griechischen Schlagbäumen an der Landgrenze zwischen den beiden Ländern ausharren. Türkische Grenzer gaben ihm etwas zu essen, ließen ihn aber nicht in die Türkei zurück. Am Donnerstag teilte das Innenministerium in Ankara dann mit, die USA hätten nun doch die Aufnahme von B. zugesagt.

Ob IS-Mitglieder wie B. von anderen Staaten aufgenommen würden oder nicht, interessiere ihn nicht, hatte Erdogan vor einigen Tagen gesagt. Die Botschaft lautete: Auch Deutschland und andere Länder sollten nicht auf Nachsicht der türkischen Regierung hoffen.

Der Fall der niedersächsischen Familie ist zudem ein Beispiel dafür, dass die türkischen Abschiebungen nicht nur IS-Kämpfer betreffen, sondern auch mutmaßliche Unterstützer, die nicht in Syrien waren. In den vergangenen Jahren hatten die türkischen Behörden rund 7700 mutmaßliche IS-Anhänger aus dem Ausland in ihre Heimatländer zurückgeschickt, viele gleich nach der Einreise. Bisher geschah das mehr oder weniger geräuschlos.

Dass Ankara jetzt ein großes Aufhebens um die Abschiebungen macht, liegt zum einen daran, dass die Türkei wegen des Syrien-Einmarsches plötzlich wesentlich mehr IS-Mitglieder bewachen muss als vorher. Zum anderen reagiert die Türkei mit dem öffentlichen Druck auf den Versuch einiger Länder wie Großbritannien, sich des Problems durch rasche Ausbürgerungen zu entledigen.

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