Brüssel prüft Anliegen Türkei setzt die EU mit visafreier Einreise unter Druck

Brüssel · Ankara überrascht mit einem Vorstoß zur visafreien Einreise in die Union. Seitens der Türkei heißt es, man habe alle von Brüssel geforderten Auflagen erfüllt und die Gemeinschaft wird aufgefordert, ihre Zusagen umzusetzen.

Obwohl zwischen der EU und der Türkei Eiszeit herrscht, überraschte Ankara jetzt mit einem neuen Vorstoß zur visafreien Einreise in die Union. Die Regierung habe alle von Brüssel geforderten Auflagen erfüllt, hieß es. Jetzt sei die Gemeinschaft an der Reihe, ihre Zusagen umzusetzen. Ein neuer Coup des türkischen Präsidenten oder doch nur eine neue Provokation?

Recep Tayyip Erdogan hat in den zurückliegenden Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, die EU zu provozieren und zu beschimpfen. Doch am vergangenen Dienstag tat der türkische Präsident einen ganz und gar überraschenden Schritt. Er schickte seinen Botschafter bei der EU zu Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und ließ diesem ein Dokument überreichen. „Die zum Zustandekommen des Visa-Abkommens vorgeschriebenen 72 Kriterien wurden vervollständigt und von unserem Außenministerium an die Behörden übergeben“, sagte ein Sprecher des Staatsoberhauptes. In Straßburg, wo die Europäische Kommission immer dienstags parallel zum EU-Parlament tagt, bestätigte eine Kommissionssprecherin, dass es ein Treffen gegeben habe. Dabei sei ein solches Papier übergeben worden. Dieses werde die Kommission nun „sorgfältig prüfen“.

Die Zusage für eine visafreie Einreise aller türkischen Staatsbürger in die Union ist Bestandteil des sogenannten Flüchtlingsdeals. Damals hatte Brüssel Erdogan zugesagt, im Gegenzug für eine schärfere Kontrolle der Grenzen und die Rücknahme von Migranten, die in Griechenland landeten, Türken ohne Visa in die Union zu lassen. Doch die EU verlangt für einen weitgehend formlosen Grenzübertritt die Erfüllung von 72 Bedingungen. 65 hatte Ankara schnell abgehakt. Aber als Europa auf der Abschaffung des umstrittenen Terror-Paragrafen bestand, der Grundlage für die Verhaftung zahlloser Oppositioneller und auch ausländischer Journalisten ist, legte sich die Türkei quer. Dass Ankara dieses umstrittene Gesetz jetzt plötzlich entschärft haben soll, vermag in Brüssel niemand zu glauben. Schließlich hatten die Sicherheitsbehörden des Staates am Bosporus erst vor wenigen Tagen weitere 500 Personen wegen Terrorpropaganda verhaftet. Und auch wenn der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner vorigen Oktober freigelassen wurde, sitzt der „Welt“-Journalist Deniz Yücel seit nunmehr über einem Jahr ohne offizielle Anklage oder Prozess im Gefängnis. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker attestierte Erdogan im September 2017, „er entfernt sich in Riesenschritten immer weiter von der EU weg“. Gerade deshalb wird ein Gipfeltreffen zwischen Juncker, Ratspräsident Donald Tusk, dem bulgarischen Regierungschef Bojko Borissow (er hat derzeit den EU-Vorsitz inne) und dem türkischen Präsidenten am 26. März in Bulgarien mit großer Spannung erwartet.

Aber auch wenn Ankara tatsächlich den Terror-Paragrafen verändert hat, dürfte es bis zur Reisefreiheit für die türkischen Bürger Richtung EU noch dauern. Denn es fehlen weiter technische Voraussetzungen wie biometrische Reisepässe oder geeignete Geräte zur Ein- und Ausreisekontrolle. Außerdem müsste die Türkei ihre Vorschriften zum Datenschutz an das EU-Niveau anpassen und im Bereich Korruptionsbekämpfung aktiver werden. Falls Erdogan darüber hinaus auf eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche spekulieren sollte, wird die EU-Spitze ihn aber wohl enttäuschen müssen. Diese liegen de facto seit Langem auf Eis. Nur mit Mühe gelang es der Mehrheit der Staats- und Regierungschefs bisher, die Forderungen nach einem völligen Abbruch abzuwehren. Nicht nur der damalige österreichische Außenminister Sebastian Kurz, auch die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes hatten sich mit großer Mehrheit für einen scharfen Schnitt ausgesprochen.

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