Journalist wird PKK-Propaganda vorgeworfen Türkisches Gericht verurteilt Deniz Yücel zu Haftstrafe

Istanbul · Der Fall Deniz Yücel war eine Belastungsprobe für die deutsch-türkischen Beziehungen. Nun wird der Journalist in der Türkei wegen Terrorpropaganda verurteilt. Ein Schlussstrich ist damit nicht gezogen.

 Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert.

Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die türkische Justiz lässt bei Deniz Yücel nicht locker. Die 32. Strafkammer des Istanbuler Schwurgerichtes verurteilte den deutsch-türkischen Journalisten am Donnerstag nicht nur zu fast drei Jahren Haft wegen angeblicher Terrorpropaganda, sondern setzte noch zwei Verfahren drauf: Das Gericht wies die Staatsanwaltschaft an, gegen Yücel auch wegen des Verdachts auf Präsidentenbeleidigung und Beleidigung des Türkentums zu ermitteln. Yücel nannte das Urteil in einer ersten Reaktion „erbärmlich“. Sein Verteidiger Veysel Ok will Einspruch gegen die Entscheidung einlegen. Mit bitterer Ironie reagierte Ok auf die Tatsache, dass Yücel wegen des jetzt anstehenden Berufungsverfahrens und den zwei neuen Ermittlungsakten ab sofort noch mehr Strafverfahren am Hals hat als vorher: „Aus Eins mach Drei“, sagte der Anwalt unserer Zeitung in Istanbul nach der Urteilsverkündung.

Damit bleibt Deniz Yücel ein Thema für die ohnehin problembeladenen türkisch-deutschen Beziehungen. Der damalige Türkei-Korrespondent der „Welt“ war Anfang 2017 festgenommen worden und saß ein Jahr ohne Anklage in einem Hochsicherheitsgefängnis in Untersuchungshaft, bevor er auf Druck der Bundesregierung nach Deutschland heimkehren durfte. Der Prozess, der nach seiner Abreise begann, fand in Abwesenheit des Angeklagten statt und dauerte zwei Jahre. Die Staatsanwaltschaft warf Yücel wegen seiner journalistischen Arbeit Propaganda für die kurdische Terrororganisation PKK und Volksverhetzung vor. Ein weiterer Vorwurf, Yücel habe auch die Organisation des islamischen Predigers Fethullah Gülen unterstützt, wurde im Lauf des Verfahrens fallengelassen.

Volksverhetzung wollte das Gericht in seinem Urteil am Donnerstag bei Yücel ebenfalls nicht erkennen und verurteilte den Journalisten wegen Terrorpropaganda zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft. Die Richter blieben damit weit unter der Strafforderung der Anklage, die 15 Jahre Gefängnis verlangt hatte, doch ein Signal für eine Wiederannäherung an Deutschland war das Urteil trotzdem nicht. Denn das Gericht zog neue Vorwürfe gegen Yücel aus dem Hut, die nach seiner Ansicht von der Staatsanwaltschaft übersehen worden waren.

In einem Beitrag Yücels für die „Welt am Sonntag“ aus dem Jahr 2016 wollen die Richter eine Beleidigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erkannt haben; der Artikel trug den Titel „Der Putschist“ und befasste sich mit der Verfolgung von Regierungsgegnern nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Auch Yücels Verteidigungsschrift, in der er von Folter während seiner Inhaftierung berichtet hatte, enthält nach Meinung des Gerichts strafwürdige Beleidigungen gegen den türkischen Staat, die nun nach dem Strafrechtsparagraphen 301 als Beleidigung des Türkentums verfolgt werden sollen.

Selbst für die türkische Justiz, die seit einigen Jahren unter der Kontrolle der Regierung steht, ist es selten, dass Äußerungen von Angeklagten vor Gericht als Anlass für neue Strafverfahren benutzt werden. Yücel schrieb auf der Internetseite der „Welt“, mit einem Freispruch hätten sich die Richter gegen Erdogan gestellt, der ihn als „Agenten-Terroristen“ vorverurteilt habe. Mit dem Urteil hätten die Richter nun dem türkischen Verfassungsgericht widersprochen, der seine Inhaftierung als illegal beanstandet habe.

„So oder so musste sich der türkische Staat heute blamieren. Das hat er auch“, schrieb Yücel. „Dass die Richter entschieden haben, lieber das Verfassungsgericht bloßzustellen als den Staatspräsidenten, dass sie es sogar gewagt haben, die unantastbare Verteidigung des Angeklagten zu kriminalisieren, zeigt einmal mehr, wie es um die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land bestellt ist: erbärmlich.“

Medienorganisationen und Menschenrechtsgruppen kritisierten die Entscheidungen des Gerichts im Fall Yücel als Beweis dafür, dass die türkische Justiz politischen Weisungen der Regierung unterliege. „Die türkische Justiz hat nichts mehr mit europäischen Normen zu tun“, sagte Erol Önderoglu, Türkei-Vertreter der Organisation Reporter Ohne Grenzen, unserer Zeitung. Yücel habe nirgendwo in seinen Artikeln zur Gewalt aufgerufen und hätte deshalb auch nicht verurteilt werden dürfen. Doch die Türkei setze alles daran, Journalisten zum Schweigen zu bringen. Amnesty International Deutschland erklärte, das Urteil zeige, „dass es in den Beziehungen zur Türkei keine Rückkehr zur Normalität geben kann“.

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