Opfer der Kolonialzeit Überreste von Toten kehren nach Namibia zurück

Berlin · Ermordung, Folter, Zwangsarbeit. Deutsche Kolonialherren verübten vor mehr als einem Jahrhundert furchtbare Verbrechen im heutigen Namibia. Woran sich Deutschland langsam erinnert, das ist bei den Nachfahren der Betroffenen schmerzlich gegenwärtig.

 Am Berliner Gendarmenmarkt fand ein Gedenkgottesdienst statt.

Am Berliner Gendarmenmarkt fand ein Gedenkgottesdienst statt.

Foto: Gregor Fischer

Weder die weihevolle Musik noch die illustre Gesellschaft verhindern die harsche Kritik von Vekuii Rukoro. "Völkermord!", ruft der Chef der namibischen Volksgruppe der Herero vom Rednerpult in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt.

"So nennen wir das zuhause." Die deutsche Regierung solle endlich lernen, Verantwortung zu übernehmen, fordert der imposante Mann in roter Uniform, der seit 2014 als "Paramount Chief" ("Oberhäuptling") der Herero fungiert.

Was Rukoro so erzürnt, ist der Umgang der Bundesregierung mit einem der düstersten Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Die Bundesregierung nehme die grausamen Verbrechen des Kaiserreichs an den Unterdrückten vor über hundert Jahren immer noch nicht ernst genug. Ob denn Deutschland keine großen und würdigen Regierungsgebäude habe, um der Übergabe sterblicher Überreste aus Namibia Raum zu bieten, fragt Rukoro mit Blick auf die Kirche, in der er steht. Er hat bei einem New Yorker Gericht Klage auf deutsche Entschädigungszahlungen eingereicht, wofür aus Sicht der Bundesregierung aber die Grundlage fehlt. Von Völkermord spricht sie erst seit 2015.

Truppen des Kaiserreichs rotteten die Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika fast aus. Ungefähr 65.000 der 80.000 Herero und mindestens 10.000 der 20.000 Nama wurden getötet, bevor die Schreckensherrschaft der Kolonialherren 1915 nach mehr als drei Jahrzehnten endete.

Deutsche brachten sterbliche Überreste mit nach Hause und studierten dort angebliche Rassenmerkmale der Knochen. "Rassekundliche Ausstellungen" gibt es hierzulande allerdings seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Angaben der Ethnologin Wiebe Ahrndt nicht mehr.

Nun kehren 19 Schädel sowie Knochen und Hautfetzen aus deutschen Kliniken, Museen und Privatbesitz nach Namibia zurück, die Überreste von insgesamt 27 Menschen. "Wir wollen unsere Mütter, Väter, Kinder zur Ruhe betten", sagt Johannes Isaaack, Häuptling der Nama. "So lange sie nicht ruhen, wird Gott uns allen nicht den nötigen Frieden geben."

Die Evangelische Kirche Deutschlands und ihre namibischen Kollegen geben in der Zeremonie vor der Übergabe Trauer und Hoffnung mit Musik und Predigten einen feierlichen Rahmen. "Endlich nach Hause", sagt Bischof Ernst Gamxamub, der Delegationsleiter des namibischen Kirchenrats über die Gebeine. "Für viele scheint der Völkermord ein kleines unbedeutendes Ereignis, aber für uns ist es ein historisches, unvergessliches und dunkles Kapitel im Kampf gegen Kolonialismus und Fremdbesetzung."

EKD-Bischöfin Petra Bosse-Huber spricht in ihrer Predigt von "kultureller Überheblichkeit" und "nationalistischem Erwählungsbewusstsein" und von Theologen, die das für gerechtfertigt hielten. "Dies ist eine große Schuld und diese Schuld ist durch nichts zu rechtfertigen."

Doch warum sprechen hier Theologen bevor Politiker zu Wort kommen, warum in einer Kirche?, fragt sich nicht nur Herero-Chef Rukoro. Der Staat ducke sich weg, meint der Historiker Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg. "Ich hätte es besser gefunden, die Übergabe im Auswärtigen Amt zu machen", sagt er. Jede Handels- oder Fischereidelegation sei hochkarätiger besetzt als die Gespräche mit Namibia. "Da muss sich jetzt eigentlich die Kanzlerin drum kümmern." Der ganze Prozess laufe verkehrt, am Anfang hätte eine Entschuldigung höchster deutscher Stellen stehen müssen. "Dass man sagt "Wir erkennen die Schuld nur, wenn ihr auf Forderungen verzichtet", das ist unangemessen." Als Folge der damaligen Enteignungen seien Herero und Nama bis heute besitzlos.

Manche Gruppen in Namibia fühlen sich von den Verhandlungen ausgeschlossen, obwohl sie doch die Nachfahren Betroffener sind. Verbitterung bricht sich auch in Berlin Bahn. Als der Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche beendet ist, tritt ein Oberhaupt traditioneller Volksgruppen nach dem anderen ans Rednerpult, viele in Uniformen und Gewändern, die der Kleidung der einstigen Besatzer nachempfunden sind. Manche greifen die eigene Regierung scharf an. Was als straff organisierter Gottesdienst um 10.30 Uhr begann, endet erst gegen 15 Uhr mit der feierlichen Übergabe der Gebeine zwischen Blumengestecken.

"Bei der Aufarbeitung des kolonialen Erbes hat Deutschland noch einiges nachzuholen", gibt die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering zu, die die Gebeine in die namibische Hauptstadt Windhoek begleiten wird, wo sie am Freitag mit einem Staatsakt empfangen werden sollen. Die Toten seien zwar nicht genau identifizierbar. Doch: "Sicher ist, sie hatten eine Familie. Sie gehörten zu ihrem Volk, sie gehörten zu ihrem Land, sie waren Menschen. Das Menschsein, die Würde hat man ihnen damals genommen." Sie bittet um Verzeihung.

Die namibische Kulturministerin Katrina Hanse-Himarwa, selbst eine Nachfahrin von Herero und Nama, dankt ihrer "lieben Schwester" für "Aufmerksamkeit und Wärme" und schließt sie in die Arme. Sie erinnert aber auch daran, dass am Ende der Verhandlungen eine Entschuldigung von höchster deutscher Stelle stehen sollte. Die Gespräche über Entschädigungen laufen seit 2015. Die Bundesregierung hat auch materielle Hilfe angeboten, bezeichnete die namibischen Forderungen aber noch im März als überzogen.

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