EU-Agrarförderung Unterstützung der Landwirte bleibt umstritten

Brüssel · Mehr als drei Jahre wurde verhandelt, am Dienstag stimmen die Europaabgeordneten final über die Reform der EU-Agrarförderpolitik ab. Ist sie bald nachhaltiger, krisenfester und gerechter? Etliche deutsche Parlamentarier sind enttäuscht.

 Gelder für Landwirte werden weiterhin nach Fläche bezahlt.

Gelder für Landwirte werden weiterhin nach Fläche bezahlt.

Foto: dpa/Jens Büttner

Es geht um viel Geld, selbst für EU-Verhältnisse. 270 Milliarden Euro stehen im Budget der Staatengemeinschaft in den Jahren 2023 bis 2027 für die Landwirtschaft zur Verfügung. Mit den Subventionen an die Bauern, die fast ein Drittel des Gesamthaushalts ausmachen, soll sichergestellt werden, dass unsere Lebensmittel gesund, nachhaltig und ökologisch produziert werden. So viel zum Ziel. Denn wie der Weg dahin aussehen soll, darüber gibt es in der EU regelmäßig großen Streit, der selbst dann nicht abebbt, wenn das Ergebnis steht. Die Auseinandersetzungen dürften auch am heutigen Dienstag weitergehen, wenn das EU-Parlament in Straßburg final über die umstrittene Reform der Agrarförderpolitik abstimmt. Es gilt als sicher, dass sie abgesegnet wird. Zahlreiche Europaabgeordnete haben deshalb schon im Vorfeld ihren Unmut geäußert. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied im Umweltausschuss, sprach etwa von einer „Nebelkerze, die den Namen Reform nicht verdient“. Maria Noichl, agrarpolitische Sprecherin der Europa-SPD, schimpfte, die Reform sei „nicht nur eine vertane Chance, sondern der Weg in eine Sackgasse, wohlwissend dass der Weg heraus umso schwieriger wird“. Derweil lobte Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, das Resultat des mehr als drei Jahre dauernden Verhandlungsmarathons. Man habe „eine gute Balance aus Nachhaltigkeit, Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit gefunden“.

Künftig müssen die EU-Mitgliedstaaten in sogenannten Nationalen Strategieplänen erklären, wie ihre jeweilige Landwirtschaftspolitik zur Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU beiträgt. Dafür soll es unter anderem Zielmarken über die gesamte Förderzeit geben. Manchen Beobachtern kommt das beinahe einer Renationalisierung der europäischen Agrarpolitik gleich. 

Was bleibt, ist das gegenwärtige Zwei-Säulen-System zur Verteilung. Demnach richtet sich die Summe der Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe, es ist die erste Säule, weiterhin nach der Größe der bewirtschafteten Ackerfläche. Es ist ein Punkt, den selbst optimistische Stimmen als Problem bezeichnen: Denn damit ist auch künftig der Löwenanteil der Fördermittel an die Flächen der Landwirte gekoppelt, was zur Folge hat, dass rund 80 Prozent der Zahlungen an 20 Prozent der Betriebe fließen, wie Noichl beklagt. Aus den Förderungen des zweiten Topfs, in dem deutlich weniger Geld landet, wird insbesondere die Entwicklung des ländlichen Raums unterstützt. 

Neu ist, dass zum einen strengere Öko-Regeln gelten sollen und auch kleinere Betriebe zu höheren Standards verpflichtet sind. So sollen Bauern, die sich an Umweltprogrammen beteiligen – sie tragen den Namen „Eco Schemes“ – mehr finanzielle Mittel erhalten, sprich: Wer beispielsweise keine Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzt, bekommt mehr Geld überwiesen. 

Zwar werden bis zu 25 Prozent der Direktzahlungen für die Landwirte an Umweltauflagen gebunden sein. Doch Kritiker verweisen auf die Ausnahmen, die den Anteil de facto deutlich senken können. Das EU-Parlament hatte in den Verhandlungen 30 Prozent gefordert, die Mitgliedstaaten wollten dagegen zwischenzeitlich weniger als 20 Prozent akzeptieren. Am Ende lag ein typisch europäischer Kompromiss auf dem Tisch. Ob diese Maßnahmen, bei denen sich viele nationale Hintertüren und Sonderregelungen bieten, dem Anspruch genügen werden, die Landwirtschaft in den europäischen Grünen Deal einzubeziehen, bezweifeln zahlreiche Parlamentarier. Mit dem ambitionierten Programm will die Brüsseler Behörde eigentlich weltweit eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz einnehmen. Doch obwohl die Landwirtschaft der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen in der Staatengemeinschaft darstellt, wird weiter ein Großteil der Zahlungen ohne Öko-Regeln überwiesen. „Alles in allem ist der Kaiser ziemlich nackt“, beklagte der Grünen-Politiker Häusling. „Eine mächtige, etablierte Lobby der industriellen Landwirtschaft“ und die Mitgliedstaaten hätten „einen sinnvollen Wandel für das Klima, die biologische Vielfalt und die Kleinbauern verhindert“. „Auch künftig werden Millionenbeträge an multinationale Holdings gehen, während der durchschnittliche Betrieb in Europa im ungleichen Wettbewerb unter die Räder kommt“, kritisierte SPD-Frau Noichl den Kompromiss. Der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins befand dagegen: „Die Vereinbarung ist ehrgeizig, steht im Einklang mit dem Green Deal und bietet den Landwirten Planungssicherheit.“

Immerhin eine positive Sache kann Noichl dem Paket abgewinnen. So habe man eine wichtige Sozialregelung durchgesetzt, wonach Zahlungen aus Brüssel gekürzt werden können, wenn Landwirte ihre Beschäftigten, Erntehelfer etwa, auf den Höfen ausbeuten oder schlecht behandeln. „Das Sozialdumping schwarzer Schafe wird nun nicht mehr mit EU-Geldern belohnt.“

Mit einer Zustimmung würden die neuen EU-Agrarvorschriften ab dem 1. Januar 2023 gelten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
Zum Thema
Machtprobe im EU-Parlament
Rede des polnischen Ministerpräsidenten Machtprobe im EU-Parlament
Mehr Pragmatismus
Kommentar zur enttäuschenden Erntebilanz Mehr Pragmatismus
Sanktionen allein genügen nicht
Kommentar zur EU-Politik gegen Belarus Sanktionen allein genügen nicht
Miteinander reden
Kommentar zur Rede von Mateusz Morawiecki Miteinander reden
Aus dem Ressort
Das von der belarussischen Staatsagentur BelTA
Merkels Telefondiplomatie
Machtkampf an der polnisch-weißrussischen GrenzeMerkels Telefondiplomatie
Eine bittere Bilanz
Kommentar zu Merkels Vermittlungsversuchen in der Belarus-Krise Eine bittere Bilanz
„Der Puls ist schwach“
Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Glasgow „Der Puls ist schwach“