Kommentar zu den Ministerrücktritten in Großbritannien Unverantwortlich

Meinung | London · Mittlerweile muss man fast hoffen, dass ein Brexit-Hardliner in die Downing Street einzieht und selbst die Grenzen des Machbaren erkennt, kommentiert GA-Korrespondentin Katrin Pribyl.

Die Rücktritte von David Davis und Boris Johnson erschüttern das Königreich. Hier gehen zwei Politiker, die glühend für den Austritt aus der EU geworben haben und sich nun, wenn es schwierig wird, aus der Verantwortung stehlen. Sie hinterlassen einen Scherbenhaufen.

Dabei hätten die beiden Kabinettsmitglieder in ihren mächtigen Positionen die Chance und vor allem die Pflicht gehabt, diese historische Entscheidung in die Praxis umzusetzen. Stattdessen reihen sie sich ein in die Riege der europaskeptischen Hardliner, die hinwerfen, schimpfen und rote Linien ziehen, anstatt Alternativen vorzuschlagen, die den Realitätstest bestehen und nicht allein auf ideologischen Fantasien beruhen.

Insbesondere dem Exzentriker Boris Johnson ging es stets um sein Ego. Um Macht. Um Spielchen. Es darf angenommen werden, dass er mit seinem Rücktritt bezweckt, Theresa May als Premierminister abzulösen. Gleichzeitig bleibt zu hoffen, dass die Bevölkerung die Feigheit und Unehrlichkeit von Johnson und Co. erkennt. Sie tragen die Schuld am derzeitigen Chaos.

Absolutes Durcheinander

Wo bleibt der Pragmatismus, für den die Briten in der Vergangenheit so gerühmt wurden? Seit dem Referendum herrscht ein absolutes Durcheinander im politischen Betrieb, und heute klingt es wie blanker Hohn, dass Ex-Premier David Cameron die Volksabstimmung im Jahr 2016 ausrief, um das Thema EU ein für alle Mal vom Tisch zu bekommen.

Die seit jeher über die EU zerstrittene konservative Partei droht nun endgültig an der Europafrage zu zerbrechen. Das Referendum hat die Nation tief gespalten. Die Risse ziehen sich durch die ganze Gesellschaft, und zu allem Übel kommt, dass die Labour-Partei als Opposition versagt. Die angezählte Regierungschefin Theresa May wirkt in all dem Durcheinander wie eine Marionette. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie diese Rücktrittswelle politisch übersteht.

Die hochkomplexe wirtschaftliche, politische und juristische Verflechtung einer mehr als 40-jährigen Mitgliedschaft aufzudröseln und durch neue Regeln zu ersetzen, gleicht einer Herkulesaufgabe, die auf der Insel von vielen Entscheidungsträgern völlig unterschätzt wurde. Das Königreich braucht einen klaren Schnitt, ein Zurück zum Anfang, auch wenn die Uhr tickt und die Zeit drängt.

Die Grenzen des Machbaren

Mittlerweile muss man fast hoffen, dass ein Brexit-Hardliner in die Downing Street einzieht und selbst die Grenzen des Machbaren erkennt. Oder eben den härtest möglichen Ausstieg aus der EU vollzieht und diesen radikalen Schnitt mit all seinen Konsequenzen dann auch verantworten muss.

Ein Desaster wäre es gewiss, äußerst unfair noch dazu, aber angesichts der aktuellen Situation vielleicht unvermeidbar. Leider würde solch eine Scheidung nicht nur die Wirtschaftswelt auf beiden Seiten des Ärmelkanals treffen, sondern besonders schwer die ärmsten Menschen im Königreich. Sie haben dieses Theater ganz gewiss nicht verdient.

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