Attentat auf Synagoge USA nach Blutbad am Sabbat in Schockstarre

Washington · Ein Attentäter tötet elf Menschen in der Synagoge von Pittsburgh. Donald Trump fordert die Todesstrafe und übt indirekt Kritik an den Opfern.

Sein Vorgänger suchte bei einer ähnlich erschütternden Tragödie das Heil in der Musik. Bei der Trauerfeier für die neun von einem weißen Rassisten in einer Methodistenkirche in Charleston erschossenen Afroamerikaner stimmte Barack Obama 2015 nach eloquenter Predigt die Jahrhunderthymne „Amazing Grace“ an und rührte Amerika zu Tränen. Wenn Donald Trump demnächst nach Pittsburgh reist, an den Schauplatz des blutigsten antisemitischen Anschlags in der US-Geschichte, sind Gesangseinlagen nicht zu erwarten. Dabei warten die Amerikaner auf eine präsidiale Schulter zum Anlehnen.

Das Blutbad am Sabbat, bei dem in der Lebensbaum-Synagoge in der ehemaligen Stahlstadt im Bundesstaat Pennsylvania acht Männer und drei Frauen von dem erklärten Judenhasser Robert Bowers (46) erschossen und sechs weitere Menschen teilweise schwer verletzt wurden, hat das Land wenige Tage vor den Kongresswahlen in Schockstarre versetzt. Bei einer von 3000 Menschen am Samstagabend in der Nähe der Synagoge besuchten Totenandacht sagten viele, dass sie sich „in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher fühlen“. Und dass der Präsident mit seiner „maßlos aggressiven Rhetorik“ und seinem „furchtbaren Hang zu Verschwörungstheorien“ dazu nicht unwesentlich beitrage.

Eine davon hatte sich der mutmaßliche Todesschütze, dem 29 Anklagepunkte vorgeworfen werden und dem laut Justizminister Jeff Sessions die Todesstrafe droht, zu eigen gemacht. Bowers glaubt, dass die mit der Regierung kooperierende jüdische Hilfsorganisation „Hebrew Immigrant Aid Society“ (Hias) Flüchtlinge aus muslimisch dominierten Ländern ins Land holt. „Hias mag es, Eindringlinge einzuschleusen, die unsere Leute töten“, schrieb der polizeilich vorher nicht in Erscheinung getretene Täter kurz vor dem Attentat in einem rechtslastigen Internetforum, „ich kann nicht zulassen und zusehen, wie meine Leute geschlachtet werden.“

Täter propagierte Mord aller Juden

Vor allem die auch von Trump verbreitete Nuance, dass der Treck von Armutsflüchtlingen in Mexiko, die in die USA streben, von militanten Islamisten durchsetzt und von dem milliardenschweren Förderer der Demokraten, George Soros, finanziert sei, hat Bowers offenbar in Rage gebracht. In dem am Sonntag veröffentlichten Haftbefehl steht, der mutmaßliche Mörder, der sich nach einem Schusswechsel mit der Polizei verletzt ergab, habe den Tod aller Juden propagiert. Sie verübten einen Genozid an „seinem Volk“, den Weißen.

Bowers, der 20 Minuten vom Tatort entfernt wohnt, betrat am Samstag um kurz vor 10 Uhr mit einem Sturmgewehr und drei Pistolen das 150 Jahre alte Gotteshaus, wo eine Namensgebungszeremonie (Bris) für ein acht Tage altes Baby begonnen hatte, und eröffnete wahllos das Feuer. Rose Mallinger (97) war das älteste, David Rosenthal (54) das jüngste Todesopfer.

Einer der rund 60 Gläubigen in der Synagoge war Stephen Weiss. „Es hörte sich erst wie ein lauter Knall auf dem Flur an“, sagte der ältere Mann in einem Interview. Wenig später identifizierte Weiss den Sound einer schnell feuernden Waffe. Er lief ins Untergeschoss, wo sich andere Gläubige in Sicherheit gebracht und mit dem Mobiltelefon die Polizei alarmiert hatten. Kurz nach dem Eintreffen lieferten sich die Beamten Schusswechsel mit Bowers, der im Atrium der Synagoge gerufen hatte: „Alle Juden müssen sterben.“

Digitaler Fußabdruck gesichert

Bei den Ermittlungen stießen die Behörden auf einen hasserfüllten Antisemiten. Bowers hatte im Netz den Slogan „Juden sind die Kinder von Satan“ gepostet. Das von Rechtsextremisten, Neonazis und der auf Rassentrennung setzenden Alt-Right-Bewegung genutzte Portal „Gab“ wurde bis auf weiteres vom Netz genommen. Allerdings wurde Bowers digitaler Fußabdruck komplett gesichert. Der Blick in die krude Gedankenwelt offenbare einen „menschenverachtenden Hetzer der schlimmsten Sorte“, sagte ein Rassismusexperte in Washington dieser Zeitung.

Kommentatoren in den USA warfen dem Präsidenten fast eine indirekte geistige Mittäterschaft vor. Wertungen, die Trump bei Wahlkampfauftritten ignorierte. Die Tat sei „absolut böse“ und eindeutig antisemitisch gewesen, sagte er in Illinois und dekretierte, Hass und Intoleranz hätten in Amerika keinen Platz. Für den Täter verlangte er die Todesstrafe und übte indirekt Kritik an den Opfern. „Wären in der Synagoge bewaffnete Sicherheitskräfte gewesen, wäre es nicht so schlimm gekommen.“

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