Verfassungsreferendum Wahlkommission weist Anträge auf Annullierung ab

Istanbul · Die Opposition forderte eine Annullierung des Referendums in der Türkei. Die Wahlkommission schmetterte die Anträge nun ab. Die türkische Regierung will von Manipulationsvorwürfen nichts wissen - und weist Kritik als unzulässige Einmischung zurück.

 Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan winkt am Tag des Referendums in Istanbul seinen Anhängern zu.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan winkt am Tag des Referendums in Istanbul seinen Anhängern zu.

Foto: Lefteris Pitarakis

Nach dem umstrittenen Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan beim Referendum in der Türkei hat die Wahlkommission Anträge der Opposition auf Annullierung der Abstimmung zurückgewiesen.

Zehn Mitglieder der Kommission stimmten gegen die vor allem von den beiden größten Oppositionsparteien CHP und HDP am Vortag eingebrachten Anträge, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Nur ein Mitglied der Wahlkommission habe das Ansinnen der Opposition unterstützt.

Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP - sowie die nicht im Parlament vertretene Vaterlandspartei hatten die Annullierung wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe beantragt. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, auch Anträge von Einzelpersonen zur Annullierung des Referendums vom Sonntag habe die Wahlkommission abgelehnt. Die Begründung ihrer Entscheidungen wollte die Kommission nachreichen.

Der CHP-Abgeordnete Bülent Tezcan sagte zur Entscheidung der Wahlkommission: "Das nennen wir organisierten Wahlbetrug, organisierten Stimmraub." Erdogan hatte das Referendum nach dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten dem Prozess zahlreiche Mängel attestiert.

Im Zentrum der Kritik stand die während der laufenden Abstimmung getroffene Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte Stimmzettel als gültig zu werten. Auch der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Georg Link, sah darin "einen Verstoß gegen türkisches Recht". Link sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, von einer Kooperation der türkischen Regierung zur Klärung der Vorwürfe "kann leider keine Rede sein".

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erhob dagegen schwere Vorwürfe gegen die Wahlbeobachter. "Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen", sagte er in Ankara. Cavusoglu verbat sich generell jegliche Einmischung Europas.

Der Minister sagte, das Referendum sei "transparent" verlaufen. Die Feststellungen der Wahlbeobachter - die internationale Standards nicht erfüllt sahen - seien "äußerst parteiisch". "Und so haben sie auch überhaupt keine Geltung und keinen Wert." In dem vorläufigen Bericht der Beobachter gebe es "eine Vielzahl an technischen und konkreten Fehlern und da sehen wir eine Absicht dahinter".

Link sagte: "Die jetzt öffentlich vorgebrachten Zweifel an unserer Neutralität sind eindeutig politisch motiviert." Die Bundesregierung riet der Türkei, die Bedenken der internationalen Wahlbeobachter nicht einfach abzutun. Die Regierung in Ankara sei "gut beraten, das ernst zu nehmen, intensiv zu prüfen", sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, in Berlin.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Was mögliche Wahlmanipulationen betrifft, so fordern wir die türkischen Behörden auf, diesen ernsten Verdachtsmomenten in einer sorgfältigen und transparenten Weise nachzugehen." Er fügte hinzu: "Nach dem Referendum ist jetzt die Zeit gekommen, eine grundlegende Diskussion über die EU-Türkei-Beziehungen zu beginnen, inklusive einer möglichen Neubewertung."

Nach Protesten gegen den Ausgang des Referendums wurden in der Metropole Istanbul Medienberichten zufolge 38 Menschen festgenommen. Die Polizei sei am frühen Mittwochmorgen in die Häuser der Aktivisten eingedrungen, berichtete die regierungskritische Zeitung "Birgün". In Istanbul sowie in mehreren anderen Städten in der Türkei waren am Dienstagabend und in den Tagen zuvor Tausende Menschen aus Protest gegen den Ausgang des Referendums auf die Straße gegangen. Sie werfen der türkischen Führung vor, die Wahl manipuliert zu haben und bezeichnen das Ergebnis daher als nicht legitim. Der Wahlkommission werfen die Demonstranten vor, "parteiisch" zu sein.

Cavusoglu betonte, kein Land habe das Recht, "sich in ein Referendum in der Türkei einzumischen". Er fügte hinzu: "Genauso hat die Europäische Union nicht das Recht, eine Ermittlung einzuleiten." Besonders scharf griff Cavusoglu den Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden an, wo die Zustimmung zu Erdogans Präsidialsystem bei 71 Prozent gelegen hatte.

Wilders hatte danach gesagt: "Wir müssen dafür sorgen, dass Leute keine doppelte Staatsangehörigkeit mehr haben können, allen voran Türken." Cavusoglu erwiderte: "Also die, die beim Referendum in der Türkei "Ja" gesagt haben, sollen nicht leben, sie sollen ausgebürgert werden, sie sollen ermordet werden. Eine eindeutige Nazi-Auffassung, eine vollkommen faschistische Auffassung." Cavusoglu fügte hinzu: "Und kein Politiker in Holland sagt, dass er Unsinn redet. Insofern unterstützen sie ihn, indem sie schweigen."

Das sei "eine Auffassung, die es nicht einmal in der Nazizeit gegeben hat", kritisierte der Minister. "Leider steuern viele Politiker in Europa und Kreise in manchen Ländern langsam auf Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg zu. Holland ist auch eins davon."

Präsident Erdogan wies unterdessen Anschuldigungen zurück, dass er sein Land in eine Diktatur führe. "Haben wir nicht Wahlurnen? Die haben wir", sagte Erdogan dem Sender CNN. "Wenn Sie sagen, dass die Wahlurne einen Diktator produziert, dann wäre das eine große Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegenüber der Person, die gewählt wird. Gleichzeitig wäre das auch eine große Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, die an der Wahlurne ihre Wahl treffen. Woher bezieht die Demokratie ihre Macht? Vom Volk."

Erdogan betonte, das nun beschlossene Präsidialsystem sei nicht auf seine Person zugeschnitten. "Das ist kein System, das Tayyip Erdogan gehört. Ich bin sterblich, ich könnte jeden Moment sterben."

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