Küstenort Beidaihe Wenn ein Ferienort in China im Sommer zum Polizeistaat wird

Peking · Beidaihe ist ein verschlafener Küstenort mit Sowjetcharme. Aber im Sommer fährt China hier seinen Polizeistaat auf. Denn für die hochrangigen Kader der Kommunistischen Partei ist es ein alljährliches Ritual, zum Urlaub nach Beidaihe zu reisen.

 In Chinas berühmtem Badeort: Porträtmaler in Beidaihe.

In Chinas berühmtem Badeort: Porträtmaler in Beidaihe.

Foto: Fabian Kretschmer

Dass dies kein normaler Wochenendausflug werden würde, deutet sich bereits auf der Zugfahrt an. Bereits zum zweiten Mal patrouillieren Polizisten in Uniform durch die erste Klasse des Expresszugs, der mit knapp 350 Kilometern pro Stunde durch das Pekinger Umland donnert. Die Passagiere werden unruhig.

Was das soll, möchte ein junger Mann wissen, doch er erhält keine Antwort. Schließlich ist jeder im Abteil noch vor Betreten des Bahnsteigs ein Dutzend Mal durchleuchtet worden: bei Passkontrollen am Bahnhofseingang, mit Wärmebildkameras oder Kameras mit Gesichtserkennungssoftware.

Ausstieg Beidaihe: Der verschlafene Küstenort 280 Kilometer östlich der chinesischen Hauptstadt gilt mit seinen langen Stränden und milden Temperaturen als willkommene Sommerfrische für die Hauptstädter. Doch Anfang August mischen sich zu den Normalbürgern auch hochrangige Gäste.

„Die Regierung ist hier – wie jedes Jahr zu dieser Zeit“, sagt der Taxifahrer, „ich habe hier die Schnauze voll. Zu viele Einschränkungen, nichts darf man mehr machen, alles ist verboten. Vor allem für junge Leute ist es keine gute Atmosphäre zum Leben.“ Wie zum Beweis wird sein Taxi von einem Polizisten von der Straße gewunken.

Die nächste Polizeikontrolle: Zwei Soldaten mit dunklen Sonnenbrillen und Maschinengewehren stehen Wache, zwei Kollegen in weniger einschüchternder Kleidung messen die Temperaturen der Einreisenden, kontrollieren ihre Pässe und werfen ein Blick in den Kofferraum.

Für die hochrangigen Kader der Kommunistischen Partei ist es ein alljährliches Ritual, im Sommer zum Urlaub nach Beidaihe zu reisen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Ort als Sommerfrische für Diplomaten gegründet, später residierte Landesvater Mao Tse-tung hier. Es ist auch ein Ort, um innere Machtkämpfe und politische Entscheidungen informell auszudiskutieren. Auch dieses Jahr gibt es wohl viel zu debattieren: Der Handelskrieg mit den USA spitzt sich so zu, dass ein militärischer Konflikt nicht mehr ausgeschlossen scheint. In Hongkong hat sich die Partei durch ihren Unterdrückungskurs den Ärger der demokratischen Welt zugezogen.

Küstenort Beidaihe : Wenn ein Ferienort in China im Sommer zum Polizeistaat wird
Foto: grafik

Es ist eine besondere Atmosphäre in Beidaihe: Der Himmel ist stets blau, der Geruch von Meerwasser liegt in der Luft, alte Sowjetbauten und Kolonialvillen versprühen nos­talgischen Charme. Am Sandstrand herrscht ausgelassene Stimmung, wie sie nur in einem Land mit wenigen Dutzend Corona-Neuinfektionen pro Tag möglich ist: Männer planschen im Wasser wie kleine Jungs. Frauen erfreuen sich an Selfie-Fotosessions. Dazwischen genießen Familien mit Kleinkindern ihr Picknick. Abends kehren die Besucher in den Fisch-Restaurants an der Promenade ein.

Ob die ständigen Polizeikontrollen das Geschäft stören? Der Manager eines Restaurants – Mitte 50, gebräunte Haut, grünes Shirt – winkt gut gelaunt ab: „Die checken doch nur die Sicherheit, aber machen ja nichts weiter. Sie sind deshalb so streng, weil Xi auch gerade hier ist“, sagt er. Dann zeigt er raus aufs Meer: „Schauen Sie: Dort wachen die Schiffe der Marine.“ Tatsächlich leuchten nur wenige Kilometer vor der Küste eine Handvoll Boote.

Sehr gern hätte man noch mehr Eindrücke von dem idyllischen Küstenort gesammelt. Doch am nächsten Morgen fangen zwei Polizisten den deutschen Reporter am Strand ab, kontrollieren sämtliche Fotos auf dem Handy und sprechen ein Strandverbot aus. Ein Vergehen können die Polizisten zwar nicht nennen. Doch wenn die Parteielite tagt, wird allein die Anwesenheit eines westlichen Journalisten zur potenziellen Bedrohung.

Die nächsten Stunden werden zu einer absurden Verfolgungsjagd der omnipräsenten Sicherheitskräfte, die den Medienvertreter auf Schritt und Tritt verfolgen – alle paar hundert Meter durch einen neuen Beamten in Zivil. Selbst beim Eis im Park riegeln zwei Offiziere die Eingänge ab, während ein Zivilbeamter hinter einem Busch hervorlugt.

Nichts wie weg: Mit dem Taxi geht es an riesigen Villen vorbei Richtung Bahnhof. Der Fahrer sagt fast ehrfürchtig: „In diesem Haus residiert Xi.“ Ungezählte Soldaten bewachen das Areal. Vorm Bahnhof sagt der Mann noch: „Die Sicherheitspräsenz ist zwar jedes Jahr hoch, doch dieses Mal werden sie die ganze Stadt Mitte des Monats absperren.“

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