Tag der Pressefreiheit Wenn nach dem Tweet die Polizei kommt

Istanbul · In der Türkei wächst der Druck auf die Medien: Regierungskritische Zeitungen werden geschlossen und Journalisten sogar festgenommen.

 Reporter ohne Grenzen untersucht jährlich die Lage der Presse- und Informationsfreiheit in 180 Ländern.

Reporter ohne Grenzen untersucht jährlich die Lage der Presse- und Informationsfreiheit in 180 Ländern.

Foto: statista.com

Sie kamen im Morgengrauen. Kurz nach fünf Uhr morgens standen Polizisten vorige Woche vor der Wohnung von Hamza Aktan, dem Nachrichtenchef des regierungskritischen türkischen Nachrichtensenders IMC-TV. Wie Aktans Anwältin und Fernsehsender mitteilten, musste der Journalist die Beamten zur Wache begleiten, wo er verhört und anschließend wieder freigelassen wurde. Der Grund dafür, dass Aktan wie ein mutmaßlicher Schwerverbrecher behandelt wurde, waren mehrere seiner Kommentare im Kurznachrichtendienst Twitter –in denen er auf Berichte der angesehenen britischen BBC verwiesen hatte.

Am diesjährigen Tag der Pressefreiheit gibt es für viele türkische Journalisten nicht viel zu feiern. Festnahmen, Gerichtsprozesse und Haftstrafen gehören mittlerweile für regierungskritische Beobachter zum Berufsrisiko. Der Druck kommt mitunter von ganz oben: Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hat Strafanzeige den Chefredakteur der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ und den Leiter des Hauptstadtbüros des Blattes, Can Dündar und Erdem Gül, wegen angeblicher Spionage gestellt. Ihnen droht lebenslange Haft; in dem derzeit laufenden Prozess ist Erdogan als Nebenkläger zugelassen.

Dündar und Gül hatten den Präsidenten mit einem Bericht über angebliche illegale Waffenlieferungen aus der Türkei an syrische Rebellen geärgert. Doch nicht nur spektakuläre Vorwürfe dieser Art können für türkische Journalisten gefährlich werden. Bei IMC-Nachrichtenchef Aktan genügte es, dass er über Twitter auf Meldungen der BBC über Gefechte im türkischen Kurdengebiet hinwies und herausstrich, dass der britische Rundfunksender an Berichten und Kommentaren zu dem Thema interessiert sei.

Daraus wurde auf der Polizeiwache der Vorwurf, Aktan habe Propaganda für eine Terrororganisation verbreitet; im Kurdengebiet kämpfen PKK-Rebellen gegen die Sicherheitskräfte. Außerdem habe Aktan mit seinen Tweets die Türkei auf internationaler Bühne angeschwärzt.

Türkische Journalistenverbände protestierten gegen die vorübergehende Festnahme des Fernsehmannes, doch ob dies viel bringt, ist zumindest unsicher. IMC-TV war bereits im Februar wegen angeblicher PKK-Propaganda vom türkischen Satelliten Türksat genommen worden. Ein Oppositionspolitiker sagte vergangene Woche, die Regierung wolle demnächst IMC-TV sowie sieben anderen Fernsehsendern die Lizenzen entziehen.

Mehrere regierungskritische Zeitungen sind in den vergangenen Monaten von der Regierung übernommen worden. Im vergangenen Jahr etwa stürmte die Polizei die Redaktion der einst regierungskritischen Zeitung „Bugün“. Sie wurde unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt, auf Regierungslinie gebracht und dann ganz eingestellt.

Ähnlich erging es der Zeitung „Zaman“, die inzwischen auch auf Regierungskurs ist. Die Publikationen gehörten zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen – einst engster Verbündeter Erdogans, inzwischen Staatsfeind.

Reporter von Blättern, die nicht auf Erdogan-Linie sind, erhalten keinen Zugang zu Pressekonferenzen oder anderen Ereignissen in Ankara. Auch manche ausländische Korrespondenten in der Türkei bekommen den Druck mittlerweile zu spüren. Der „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim musste das Land verlassen, nachdem ihm die Neuakkreditierung durch das türkische Presseamt verweigert wurde. Anderen Reportern wurde die Einreise ins Land verweigert. Es ist unübersehbar, dass die türkischen Behörden wesentlich allergischer auf kritische Berichte der Auslandspresse reagieren als noch vor einigen Jahren.

Die Distanz zwischen Europa und der Türkei werde größer statt kleiner, sagte EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans kürzlich mit Blick auf den Druck auf die Medien in der Türkei. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere führende EU-Politiker haben die Zustände in dem EU-Bewerberland beklagt. Konsequenzen gab es bisher aber keine.

„Cumhuriyet“-Chefredakteur Dündar und andere werfen der EU vor, aus Rücksicht auf die wichtige Rolle der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise vor Ankara zu kuschen.

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