Konflikte an der Grenze zu Mexiko Wie die Trump-Regierung Kinder als Geiseln nimmt

Washington · Die US-Regierung von Präsident Donald Trump reißt an der Grenze zu Mexiko Familien auseinander. Hilfsorganisationen, Demokraten und auch Republikaner prangern die Kriminalisierung von Migranten an.

 Die achtjährige Akemi Vargas weint während eines Protests vor dem Sandra Day O'Connor United States Courthouse, als sie davon berichtet, wie sie von ihrem Vater getrennt wurde.

Die achtjährige Akemi Vargas weint während eines Protests vor dem Sandra Day O'Connor United States Courthouse, als sie davon berichtet, wie sie von ihrem Vater getrennt wurde.

Foto: dpa

Im Niemandsland zwischen San Diego und Tijuana ist es für kalifornische Frühsommerverhältnisse ungewöhnlich kalt an diesem Samstagmorgen. Erica Morales (Name geändert) hat darum für ihre vier Kinder neben Spielsachen auch Flanelldecken und Campingstühle mitgebracht. Niemand soll auf dem kalten Asphalt sitzen, wenn die 34-Jährige wie an jedem vierten Samstag im Monat zwischen 10 und 14 Uhr auf amerikanischem Territorium bis an die Lippen ganz nah an den braunrot verwitterten Grenzzaun rückt, um mit ihrer Mutter zu sprechen, die auf mexikanischer Seite wartet.

Das von Wachturm, Hightech-Zäunen und patrouillierenden Beamten des Grenzschutzes gesicherte Areal muss man sich vielleicht wie eine verschärfte Open-Air-Version des „Tränenpalasts“ an der Berliner Friedrichstraße vorstellen, in dem sich DDR- und BRD-Bürger staatlich observiert Adieu sagen durften. Nur, dass es in dieser Transitzone keinen echten Körperkontakt geben kann. Allenfalls die Kuppe des kleinen Fingers passt noch durch die Gittermaschen. Trotzdem kommen jedes Wochenende Dutzende, manchmal Hunderte Menschen in den direkt am rauschenden Pazifik liegenden „Freundschaftspark“.

Nur hier können in den USA lebende Mexikaner mit Sicherheitsabstand ihre Angehörigen treffen, die entweder ausgewiesen wurden oder nicht in die „Estados Unidos“ einreisen dürfen. „Nur hier können sie leise und beständig zeigen, dass Familienbande stärker sind als rostiger Stahl“, sagt Maria Teresa Fernandez. Die 65-Jährige, einst selbst aus Mexiko eingewandert, fotografiert seit elf Jahren fast jedes Wochenende die anrührenden Begegnungen, bei denen „Tränen der Trauer und der Freude fließen“. Was seit einigen Wochen auf Anordnung von Präsident Donald Trump an anderen Stellen der rund 3150 Kilometer langen Südgrenze der USA geschieht, bricht Fernandez jedoch nach eigenen Worten „wirklich das Herz“.

Weil trotz verschärfter Migrationspolitik die Zahl der beim illegalen Grenzübertritt erwischten Menschen monatlich konstant über 50 000 liegt, hat die Regierung in Washington die „Null Toleranz“-Strategie ausgerufen. In Kurzform: Alle, die an der Grenze ohne Einreisebewilligung auftauchen und nicht freiwillig wieder umkehren, werden anders als früher wie Straffällige behandelt. Ausnahmslos. Also auch die Kinder von Müttern und Vätern, die aus Verzweiflung über Gang-Kriminalität, staatlichen Zerfall und Perspektivlosigkeit in Ländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras über die Zwischenstation Mexiko in den USA nach einer neuen Lebensperspektive suchen.

Allein zwischen Mitte April und Ende Mai wurden nach Angaben des Heimatschutzministeriums 2000 Minderjährige von ihren Erziehungsberechtigten getrennt, manche nicht mal drei Jahre alt. Von Oktober 2017 an gerechnet sind es sogar weit über 4000. Dabei ereigneten sich Szenen, die den Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Daniel DiNardo, der Regierung „unmoralisches“ Verhalten vorwerfen ließen. Selbst aus der Trump sonst penetrant die Stange haltenden Ecke der fundamentalistischen Evangelikalen kam lautes Murren. Die Gründe sind erschreckend.

Vor wenigen Wochen wurde Marco Antonio Muñoz mit Frau und Kind (3) beim Grenzübertritt in Texas festgesetzt. Als man ihm den Sohn wegnahm, verlor der 39-jähriger Honduraner die Nerven und wurde zur Abkühlung in ein Gefängnis gebracht. Tags darauf erhängte er sich in seiner Zelle. In einem anderen Fall, den die Behörden bestreiten, soll einer jungen Mutter ebenfalls aus Honduras bei der Festnahme noch während des Stillens die Tochter weggenommen worden sein, wie die Anwältin Natalia Cornelio beteuert. Andere Flüchtlingsfrauen mit Anhang beschreiben, wie sie vor der Inhaftierung an der Grenze vertröstet wurden, dass ihre Kinder „nur schnell zum Duschen müssen“. Kurz darauf waren sie verschwunden und tauchten erst Tage später teilweise Hunderte Kilometer weit entfernt in Auffanglagern zwischen Illinois und Oregon wieder auf. „Skandalös“, „inhuman“, wetterten viele Zeitungskommentatoren.

Alles streng nach dem Gesetz, kontert Justizminister Jeff Sessions. Er ist gemeinsam mit dem allgegenwärtigen Präsidentenberater Stephen Miller der Architekt dessen, was Demokraten sowieso, aber auch etliche prominente Republikaner wie der frühere Präsidentschaftskandidat John Kasich oder der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, wahlweise „Tragödie“, „Schande“, „ganz falsch“ oder „zutiefst unamerikanisch“ nennen. Dass sich Sessions bei seinem Tun auch noch auf den Römerbrief des Apostels Paulus in der Bibel beruft, wonach man den Gesetzen der Obrigkeit Folge zu leisten habe, ist für Pedro Rios der Höhepunkt des „himmelschreienden Unrechts“. Der 45-Jährige arbeitet in San Diego für das „American Friends Service Committee“ (AFSC), eine vor 100 Jahren von den Quäkern gegründete Hilfsorganisation. Was Trump und Sessions treiben, sagte er dieser Zeitung beim Gespräch in seinem kleinen Büro, sei eine Mischung aus „Geiselnahme“ und „Abschreckung“.

Mit seiner Linie wolle Trump die Demokraten wohl dazu zwingen, unter anderem die von ihm geforderten 25 Milliarden Dollar für den Bau der Grenzmauer zu bewilligen, mit der Trump seit drei Jahren hausieren geht. So soll dem Präsidenten, der die Bekämpfung illegaler Einwanderung zu seinem Leib- und Magenthema gemacht hat, bei den Zwischenwahlen im Kongress im November ein Gesichtsverlust erspart werden. Um Nachahmer zu entmutigen, die zu Tausenden im bitterarmen Hinterhof von Amerika auf gepackten Koffern säßen, zögere Trump dabei auch nicht, das „Wohlergehen“ unschuldiger Kinder zu gefährden und zu „lügen“. Denn anders als Trump behauptet, gibt es kein von den Demokraten beschlossenes Gesetz, das im vorliegenden Fall die Trennung von Eltern und Kindern vorschreibt. Dennoch kommen die Menschen weiterhin an die Grenze. Und Rios weiß aus vielen Gesprächen mit Betroffenen den Grund. „Die Menschen, die da über die Grenze kommen, haben kaum vorstellbares Leid hinter sich. Sie kommen de facto aus Kriegsgebieten. Bei der Abwägung, ob sie in der Heimat getötet oder an der Grenze zu Amerika von ihren Kindern getrennt werden, entscheiden sich viele für die Trennung.“

Im Freundschaftpark am Grenzzaun bei Tijuana hat Erica Morales am frühen Samstagnachmittag ihr Gesprächspensum mit der Mutter voll ausgeschöpft. Ihre Wangen glühen rot, sie lächelt, die Kinder frieren. Bevor sie alles zusammenpackt und 130 Kilometer gen Norden fährt, dreht sie sich um und nickt. „Was Präsident Trump macht, ist nicht gut. Er trennt, was zusammengehört.“

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