Bedenken beim Datenschutz Wie Überwachung in der Corona-Krise eingesetzt wird

Peking · China, Taiwan und Südkorea benutzen Big Data und Überwachung, um den Virusausbruch einzudämmen. In Europa wäre dies aufgrund der Datenschutzgesetze nicht möglich. Christian Drosten von der Berliner Charité ist ein begehrter Corona-Experte in TV-Shows.

 Radikale Transparenz: Südkorea setzt nicht nur auf Desinfektion, sondern auf die personenbezogenen Daten von Überwachungskameras.

Radikale Transparenz: Südkorea setzt nicht nur auf Desinfektion, sondern auf die personenbezogenen Daten von Überwachungskameras.

Foto: dpa/Kim Sun-Ung

Bereits Ende Januar behauptete der Vize-Direktor der Gesundheitskommission China: „Wir glauben, die technologische Entwicklung beim Kampf gegen den Virusausbruch ist auf unserer Seite“. Fortschrittliche Gesichtserkennungs-Software und ein Klarnamen-System der Regierung würden dabei helfen, mögliche Infizierte zu identifizieren und die Verbreitung des Erregers zu stoppen. Fast zwei Monate später scheint dies gelungen: Am Dienstag vermeldeten die Behörden in Wuhan lediglich eine Neuansteckung, landesweit waren es 20 – allesamt importiert aus dem Ausland. Das Virus scheint – zumindest vorübergehend - unterdrückt.

Dass Big Data und öffentliche Überwachung einen großen Anteil an diesem epidemiologischen Erfolg haben, ist unbestreitbar. Kein Land auf der Welt ist in diesem Bereich fortgeschrittener als China. Ob beim Einkauf von Sim-Karten fürs Handy, Registrieren für eine App oder dem Buchen eines Flugtickets: Für jede Transaktion ist ein von der Regierung ausgegebener Personalausweis nötig. Zudem verfügt das Land über 200 Millionen Sicherheitskameras, von denen viele mit Gesichtserfassungssoftware ausgestattet sind. Ohne nennenswerte Datenschutzgesetze können sämtliche Informationen zentral verknüpft werden.

Telekommunikationsanbieter teilen ihre Daten

Ein Fallbeispiel: Jeder Passagier, der am Pekinger Hauptbahnhof ankommt, muss beim Verlassen der Eingangshalle eine Kamera passieren, die die Körpertemperatur erfasst. Sobald jemand Fiebersymptome zeigt, wird der Verdächtige von den Sicherheitskräften aus der Menge herausgefischt – und im Notfall an ein Krankenhaus weitergeleitet. Im nächsten Schritt würden die Behörden jeden einzelnen Passagier im selben Zugwagon alarmieren, schließlich können sie die Identität und Telefonnummer durch den Ticketkauf leicht herausfinden.

Die drei großen Telekommunikationsanbieter teilen ihre Daten sowohl mit dem Ministerium für Informationstechnologie als auch mit der Nationalen Gesundheitskommission. Damit kann praktisch jeder Bürger, der ein Smartphone bei sich führt, jederzeit geortet werden. Allein in Wuhan gab es rund 1800 Teams, die vor allem damit beschäftigt waren, mögliche infizierte Personen auf Grundlage der technischen Daten aufzuspüren.

Wie effizient das „mobile tracking“ ist, zeigt ein Fall vom Februar: Als ein Imbiss-Besitzer aus der Stadt Wenzhou erkrankt ist, haben die Behörden in dessen Folge 40 Menschen unter Quarantäne gesteckt. Von den Daten der Mobilfunkanbieter konnte die Lokalregierung genau bestimmen, dass sich rund 3600 Personen in letzter Zeit in der Nähe des Imbiss aufgehalten haben. Diese wurden dann einzeln angerufen, um nähere Details in Erfahrung zu bringen.

Taiwans Erfolg beruht auf modernster Technik

Auch auf sozialen Medien berichten Chinesen von ihren Erfahrungen mit der Überwachung: Eine Hotelbesitzerin aus Wuhan ist trotz ihrer Quarantäne kurz aus ihrer Wohnung herausgegangen, um beim Pförtner eine online bestellte Essenslieferung abzuholen. Nur wenige Schritte im Freien umkreiste die Chinesin eine Drohne, die sie per Sprachnachricht dazu aufforderte, umgehend wieder umzukehren. Was für europäische Wertevorstellungen dystopisch klingt, wird in China kaum kritisch kritisiert – schlicht, weil es in dem totalitären Staat keine funktionierende Zivilgesellschaft oder freie Medien gibt.

Taiwans Erfolg beruht zu Teilen auf dem Einsatz modernster Technik: Mit Hilfe von Big Data informieren Smartphone-Apps, an welchen Apotheken noch Gesichtsmasken zu kaufen sind. Zudem haben die Einwanderungsbehörde gemeinsam mit der staatlichen Krankenversicherung zusammengearbeitet: So konnten Krankenhäuser und selbst Apotheken beim Scannen der Krankenkarte von Taiwanern Zugriff auf deren Reiseaufenthalte der letzten zwei Wochen. So werden Risikopatienten umgehend identifiziert. Anwohner unter Quarantäne wurden per Mobilfunksignal kontrolliert, ob sie nicht heimlich ihre Wohnungen verlassen haben. Regelbrecher werden bestraft.

Zumindest empirisch scheint der Maßnahmenkatalog Taiwans effizient zu sein: Als im Januar das Virus sich vermehrt ausbreitete, prognostizierten Modellrechnungen, dass der Inselstaat direkt nach China am schwersten betroffen sein müsste: Schließlich liegt Taiwan nur 130 Kilometer vor dem chinesischen Festland und hat einen großen Anteil an Pendlern. Tatsächlich hat Taiwan bis heute jedoch nur 54 aktive Fälle. In einer wissenschaftlichen Studie des „Journal of the American Medical Association“ heißt es allerdings: Es ist unklar, „ob die intensiven Maßnahmen bis zum Ende der Epidemie aufrecht erhalten werden können und von der Bevölkerung mitgetragen werden“.

Auch in Südkorea gilt aufgrund eines Gesetzes zur „Prävention von Infektionskrankheiten“ radikale Transparenz: Nicht nur werden täglich zweimal Regierungs-Briefings online gestreamt, auch publizieren die Behörden die Bewegungsabläufe eines jeden Infizierten. Wer in der Nähe eines Hotspots mit vielen Infektionen wohnt, wird proaktiv von der Regierung per Alarm-SMS angeschrieben.

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