Terror in Tunesien "Wir lassen uns nicht unterkriegen"

SOUSSE · Touristen in Tunesien schwanken zwischen Trotz und Trauer. Viele Deutsche wollen ungeachtet des Terrors bleiben, ein Zeichen setzen. Derweil sickern peinliche Details über die Sicherheitskräfte durch.

 Urlauber legten gestern am Tatort Blumen ab. Die Bestürzung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Mancher weiß, dass es auch ihn hätte erwischen können, wäre er am Freitag nicht zu einem Ausflug unterwegs gewesen.

Urlauber legten gestern am Tatort Blumen ab. Die Bestürzung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Mancher weiß, dass es auch ihn hätte erwischen können, wäre er am Freitag nicht zu einem Ausflug unterwegs gewesen.

Foto: DPA

Es ist eine surreale Szene am Strand des Imperial Marhaba Hotel im tunesischen Sousse. Die meisten können immer noch nicht begreifen, was hier geschehen ist. Ein Teil der Badeliegen ist mit gelbem Band als Tatort abgesichert. Überall stapfen Journalisten mit Kameras, Fotoapparaten und Notizblocks durch den weichen, weißen Sand. Dazwischen wandern noch einige Urlauberfamilien in Badehosen und Bikini das Meer entlang und halten kurz neugierig inne. Einige andere Tunesier und Touristen kommen und legen Blumen nieder. Manche der Touristen bekreuzigen sich. Jemand hatte mitten in den Blumenhaufen einen Zettel mit einer einfachen Frage gesteckt: "Warum?", steht darauf. Warum wurden hier von einem tunesischen Studenten 38 Menschen erschossen? Touristen, die sich friedlich auf diesen Liegen gesonnt haben.

Nicht durch Terror einschüchtern lassen - AM #Steinmeier zu den Anschlägen in #Tunesien#Frankreich+#Kuwait: http://t.co/X6bbXieiEt#Sousse

Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) 27. Juni 2015Die meisten der Hotelgäste sind abgereist. Einige wenige sind geblieben und sitzen trotzig am Pool, darunter auch ein Pärchen aus dem Sauerland. Als das geschah, waren sie gerade auf einem Ausflug. Hätten sie sich anders entschieden, hätten sie auch auf diesen Strandliegen gelegen. Als sie von ihrem Ausflug zurückkamen, sahen sie noch, wie die Leichen aus ihrem Hotel getragen wurden. "Da war für uns wie ein zweiter Geburtstag", sagt Raimond Mensebach. Abreisen wollen sie nicht, obwohl der Reiseveranstalter das angeboten hatte. "Wir wollen auch ein Zeichen setzen, dass wir uns nicht von diesem Idioten unterkriegen lassen. Die dürfen ihr Ziel nicht erreichen", meint Mensebach.

Schreckliche Nachrichten aus #Sousse, einer lebensfrohen Stadt,die ich gut kenne. Bon courage! http://t.co/uo32adSxICpic.twitter.com/nb43BPDL9K

Joscha Weber (@joschaweber) 26. Juni 2015Der "Idiot", wie der deutsche Urlauber ihn nennt, war der 23-jährige Student Seifeddin Rezgui, der bis dahin in keiner Weise auffällig geworden war, bevor er am Freitag mit einem Sturmgewehr am Strand von Sousse auftauchte umd ein Blutbad anzurichten, das der Islamische Staat später im Internet für sich reklamierte. Was der Augenzeuge Amir Ben Hajj Hasein zu erzählen hat, haben sich die tunesischen Sicherheitskräfte am Tag des Anschlags kein Ruhmesblatt verdient. Er habe Schüsse gehört und gesehen, wie die Touristen davonliefen. Da seine Eltern am Stand waren, sei er in die Gegenrichtung gelaufen.

Kanzlerin #Merkel verurteilt im Kondolenztelegramm den barbarischen Terrorakt im Badeort Sousse, http://t.co/JeYtpJf6wO

Steffen Seibert (@RegSprecher) 26. Juni 2015Der Attentäter schoss zu dieser Zeit wild am Pool um sich. Fünf Minuten später waren zwei bewaffnete Mitglieder der tunesischen Nationalgarde vor Ort. Aber sie hätten Angst gehabt, zum Strand zu gehen. Einer von ihnen wurde regelrecht von den Anwohnern vorangetrieben und habe sich sogar hinter ihnen versteckt. Als dann eine Granate explodierte, sei der Polizist davongelaufen.

Währenddessen hätten Hotelpersonal und Einwohner versucht, so viele Urlauber wie möglich in Sicherheit zu bringen. Ein Animateur aus dem Hotelpersonal hatte einen Polizisten angefleht, ihm die Waffe zu geben, damit er den Angreifer stellt. Dann sei der Attentäter ruhig davonspaziert, zunächst in Richtung des benachbarten Hotels. Auf der Straße wurde er von Anwohnern mit Steinen und allem beworfen, was sie zu Hand hatten. Einer warf vom Dach eine Badezimmerfliese auf ihn und traf ihn am Kopf. "Macht was ihr wollt, ich werde nicht auf euch schießen", soll der Angreifer gerufen haben, der es auch laut anderen Augenzeugen nur auf ausländische Touristen abgesehen hatte. Einem Tunesier, der versucht hatte, ihm die Waffe zu entreißen, soll er gesagt haben: "Lass mich in Ruhe, euch Tunesiern wird nichts geschehen." Am Ende schossen ihm anrückende Polizisten in den Kopf.

Es dauert eine Weile, bis das politische Tunesien aus seinem Albtraum und seiner Schockstarre aufwachte. Am Samstag nach Einbruch der Dunkelheit und nach dem Fastenbrechen im Ramadan versammelten sich die Menschen an mehreren Orten in Sousse zu Demonstrationen in der Innenstadt, aber auch vor außerhalb gelegenen Hotel, in dem der Anschlag stattgefunden hatte. "Wir sind einig gegen den Terrorismus", riefen sie und sangen die Nationalhymne. Von den Vertretern der säkularen Nidaa-Partei, über deren Koalitionspartner, der moderaten Ennahda-Partei, aber auch der Opposition und Vertretern der Zivilgesellschaft waren alle gekommen.

"Wir müssen in dieser Zeit alle zusammenstehen", erklärt der auf der Demonstration anwesende Arbeitsminister Zied Ladhari, der der Enahda-Partei angehört, im Gespräch mit dieser Zeitung. "Die Terroristen hassen unser Projekt, das einzig demokratische erfolgreiche in der Arabischen Welt", sagt er. Die Französischlehrerin Schiraz Schedli, die sich an diesem Abend eine tunesische Fahne umgewickelt hat, fordert härtere Maßnahmen gegen radikale Islamisten. Deren Moschee müssten geschlossen, deren Parteien, wie die Tahrir-Partei, die ein Kalifat in Tunesien fordert, müssen verboten werden", sagt sie. "Wir brauchen ein neues Antiterrorgesetz und wir dürfen dafür keine Zeit verlieren, bevor noch schlimmeres passiert. Und das wichtigste sagt sie: "Wir müssen auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass wir keine Angst haben".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort