Woher kommen die Flüchtlinge?

Syrien - Scheiternder Staat

Der arabische Frühling weckte in kaum einem Land so große Erwartungen wie in Syrien: Weite Teile der Bevölkerung hofften, ihr Land von der jahrzehntelangen Regierung der Assad-Sippe befreien zu können. 1970 begründete Hafiz al-Assad die auf der Macht des Militärs und der Geheimdienste gründende Herrschaft seiner Familie in Syrien. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Baschar al-Assad die Position des Staatsoberhauptes. Hoffnungen, der in London erzogene Baschar würde eine Demokratisierung seines Landes einleiten, zerschlugen sich nach kurzer Zeit. Im März 2011 setzte eine Demonstration in Damaskus eine Protestwelle gegen das Regime in Gang. Der Widerstand wurde zunächst blutig niedergeschlagen. Die folgenden Kämpfe eskalierten dann aber zu einem bis heute andauernden Krieg mit Bomben auf Wohnviertel und dem Einsatz von Giftgas. Internationale Friedensbemühungen scheiterten. Große Teile Syriens werden heute von extremistischen Gruppen wie der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kontrolliert. Der syrische Bürgerkrieg wird durch die Einmischung auswärtiger Mächte kompliziert. Die USA drängen auf den Sturz des Assad-Regimes, während Russland sich als dessen Schutzmacht versteht. Der Iran stützt gleichfalls Präsident Assad und kämpft gegen die Ausbreitung des IS. Die Türkei tritt dagegen für die Ablösung Assads ein und bekämpft den IS, allerdings auch die syrische Kurdenpartei PYD, die bislang erfolgreichste Streitmacht gegen den IS.Derweil entwickelt sich der Bürgerkrieg zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Seit Beginn des Konflikts wurden nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon mehr als eine Viertelmillion Menschen getötet. Rund 13,5 Millionen Syrer sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Etwa 6,5 Millionen haben ihre Heimatorte verlassen und suchen Schutz innerhalb Syriens. Weitere knapp 4,2 Millionen sind vor dem Krieg über die Grenze geflohen, die meisten von ihnen leben in Syriens Nachbarländern, allein mehr als zwei Millionen in der Türkei.Warum machen sich gerade jetzt so viele Syrer auf den gefährlichen Weg nach Europa? Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR kennt Antworten: Weil viele nach fünf Jahren Krieg die Hoffnung auf Rückkehr verloren haben. Weil die Ersparnisse aufgebraucht sind, es in den Nachbarländern keine Arbeitsmöglichkeiten gibt und es dort immer schwieriger wird, die steigenden Kosten für Unterkunft und Lebensunterhalt zu zahlen. Weil die Bildungsmöglichkeiten für die Kinder schlecht bis nicht existent sind. Weil die Hilfsprogramme zu mehr als 50 Prozent unterfinanziert sind und die Lebensmittelrationen deshalb immer weiter gekürzt werden mussten. Für viele war dies, berichteten Flüchtlinge dem UNHCR, der letzte Anstoß zum Aufbruch.

Eritrea - Armut und Diktatur

Unter Asylbewerbern in Deutschland waren Eritreer in diesem Jahr die siebtgrößte Flüchtlingsgruppe. Aus dem Land am Horn von Afrika flohen zwischen dem 1. Januar und dem 31. Oktober 8.715 Menschen nach Deutschland, im Jahr davor waren es insgesamt mehr als 13.000 Menschen. Damit sind seit 2012 bereits mehr als 100.000 Eritreer in die EU, nach Norwegen und in die Schweiz ausgewandert. Zudem sind mehr als 200.000 Eritreer in afrikanische Nachbarländer geflohen.Ursache der Flucht: Das Regime in Eritrea unterdrückt systematisch die Freiheitsrechte seiner Bürger: Seit 1993 gab es keine Wahlen, freie Meinungsäußerung wird beschnitten, es gibt keine freie Presse oder eine Opposition. Der Wehrdienst in Eritrea ist zeitlich oft unbegrenzt, Menschenrechtsgruppen sehen darin eine moderne Form der Sklaverei. Experten werfen dem Regime von Präsident Isaias Afewerki zudem willkürliche Hinrichtungen sowie systematische Folter vor. Frankreichs Präsident François Hollande fordert vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise, "maximalen" politischen Druck auf die Regierung von Eritrea.

Irak - Dauerhafter Bürgerkrieg

Im Jahr 2003 starteten die USA ihren Feldzug zum Sturz von Diktator Saddam Hussein. Obwohl der US-geführten Koalition Saddams Sturz gelang, schafften es die seit 2004 amtierenden Regierungen in Bagdad nicht, dem Land Frieden zu bringen. Zwischen sunnitischen und schiitischen Gruppierungen entbrannte ein mörderischer Bürgerkrieg mit unzähligen Anschlägen, die zahllose zivile Opfer forderten. Nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 nahm die Gewalt im Land weiter zu. Die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat, die aus einer Gruppierung hervorging, die den US-Einmarsch bekämpfte, trat ihren Vormarsch an. Im Norden und Westen des Landes eroberte der IS große Gebiete und errichtete eine Terrorherrschaft. Kurdische Truppen (Peschmerga), aber auch die irakischen Streitkräfte versuchen, die Dschihadisten mit US-Luftunterstützung zurückzudrängen. Rund 3,7 Millionen Iraker sind auf der Flucht, davon knapp die Hälfte im eigenen Land.Bereits der vom Saddam-Regime entfesselte erste Golfkrieg (1980 bis 1988) hatte in der irakischen Bevölkerung viele Todesopfer gefordert.

Westbalkan - Armut und Diskriminierung von Minderheiten

Die hohe Zahl von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten hatte Anfang des Jahres für Alarmstimmung in Deutschland gesorgt. Allein im März stellten 11.147 Flüchtlinge aus dem Kosovo einen Asylantrag - das entsprach fast 40 Prozent aller Asylanträge in diesem Monat. Doch schon im Juli sah das ganz anders aus: Da taucht das Balkanland mit einer Zugangsquote von unter 1,6 Prozent schon nicht mehr unter den Top Ten der Herkunftsländer auf, inzwischen sind es weniger als 1,3 Prozent (Oktober: 619 Anträge). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt sich diese Entwicklung so: Viele Menschen seien mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden, die konsequente und hohe Ablehnungsquote von 99 Prozent habe sich dann schnell herumgesprochen, sagte Sprecher Mehmet Ata dem GA.Allerdings nicht in Albanien. Das Balkanland liegt sowohl im Oktober als auch im Jahresverlauf auf Platz zwei der Asylantragsstatistik. Trotz wirtschaftlicher Fortschritte zählt Albanien noch immer zu den ärmsten Ländern Europas. Deutschland unterstützt es bei den Bemühungen, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Dank seiner Reformbemühungen ist Albanien seit Juni 2014 offizieller EU-Beitrittskandidat, hat aber weiterhin mit Korruption und organisiertem Verbrechen zu kämpfen. Die Bundesrepublik engagiert sich seit 1988 entwicklungspolitisch in dem Land mit etwa 2,9 Millionen Einwohnern. Mit Leistungen von inzwischen mehr als einer Milliarde Euro ist Deutschland einer der größten Geber. Bis Mitte des Jahres schossen die Flüchtlingszahlen aus Albanien geradezu in den Himmel und erreichten im August mit 8.243 Asylanträgen ihren Höhepunkt. Seitdem geht ihre Zahl kontinuierlich zurück. Insgesamt machen die westlichen Balkanländer derzeit etwa elf Prozent der Asylanträge aus. Bereits seit November 2014 gelten Serbien, Mazedonien und Bosnien in Deutschland als sichere Herkunftsstaaten, Montenegro, Albanien und Kosovo kamen Mitte Oktober laut Beschluss der Bundesregierung hinzu. An den Migrationsgründen ändert das nichts: vor allem Armut und Arbeitsplatzmangel, aber auch Rechtsunsicherheit und die verbreitete Diskriminierung von Minderheiten. Jeder dritte Westbalkan-Flüchtling gehörte im ersten Quartal 2015 laut Auskunft der Bundesregierung zur Gruppe der Roma: Bei den Flüchtlingen aus Serbien waren es sogar 91 Prozent, gefolgt von Mazedonien (72 Prozent), Bosnien (60 Prozent) und Montenegro (42 Prozent), wie die FAZ berichtete. Bei Albanien und dem Kosovo lag der Anteil nur bei jeweils neun Prozent.

Afghanistan - Der ewige Krieg

Trotz eines 13 Jahre lang dauernden Nato-Kampfeinsatzes ist die Sicherheitslage im Land am Hindukusch instabil. Die von der Nato bekämpften islamistischen Taliban sind nach wie vor zu militärischen Großoffensiven fähig. Ende September eroberten sie vorübergehend sogar die Bezirkshauptstadt Kundus, zehn Jahre lang Bundeswehr-Stützpunkt im Land. Nach einem Bericht der New York Times starben alleine im ersten Halbjahr 2015 bei Kämpfen über 4000 Polizisten und Regierungssoldaten. Die USA fliegen Drohnenangriffe gegen Rebellen, obwohl der Nato-Kampfeinsatz offiziell abgeschlossen ist. Krieg und Unruhen suchen Afghanistan allerdings seit Jahrzehnten heim. Sowjetische Truppen marschierten 1979 im Nachbarland ein, um das kommunistische Regime zu unterstützen, dass den Bürgerkrieg gegen islamische Mudschaheddin zu verlieren drohte. Der Afghanistan-Krieg hinterließ ein zerstörtes Land mit sich gegenseitig bekriegenden Warlords. Aus diesen Kämpfen gingen die fundamentalistischen Taliban als Sieger hervor. Deren Regierung wurde von den USA als Schirmherrin des Terrornetzwerks Al-Kaida ausgemacht und durch die westliche Invasion 2001 gestürzt. Stabilität und Frieden brachte auch die erneute Einmischung von außen nicht. Nach fast vier Jahrzehnten Bürgerkrieg sind Infrastruktur und Wirtschaft des Vielvölkerstaats zerstört, Industrie ist kaum vorhanden. Lediglich der Drogenhandel floriert. Viele Afghanen sehen in ihrem Land keine Zukunft mehr. Einheimische Helfer westlicher Organisationen müssen als Kollaborateure die Rache der Taliban fürchten. Die deutsche Diskussion über eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen und Gerüchte von Schleusern haben die Zahl der Auswanderer aus Afghanistan in den vergangenen Monaten anschwellen lassen.

Pakistan - Terror und Armut

Das Nachbarland Afghanistans wird regelmäßig von Anschlägen erschüttert, besonders die Nordwest-Provinz an der Grenze zu Afghanistan - ein Rückzugsgebiet für Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer. Pakistan wurde nach den Anschlägen am 11. September Verbündeter der USA im Kampf gegen den Terror. Die afghanische Regierung wirft Pakistan dennoch vor, die Rebellen, die in Afghanistan Anschläge verüben, nicht ausreichend zu verfolgen. Das 180-Millionen-Einwohner-Land wiederum klagt, es leide unter den aus dem Nachland kommenden Terroristen.Mehrfach wurden mutmaßliche pakistanische Terroristen auch nach Anschlägen in Indien gefasst. Pakistan ist Schwerpunktland des US-Drohnenkriegs: Die US-Streitkräfte jagen Anführer islamistischer Gruppierungen mit Hilfe von Kampfdrohnen. Nach Schätzungen dreier Organisationen, die das Drohnenprogramm verfolgen, kamen in rund 500 Angriffen mehr als 3.800 Menschen ums Leben, darunter etwa 470 Zivilisten. Zum Symbol der religiös begründeten Gewalt in Pakistan wurde das Mädchen Malala Yousafzai. Malala, die im streng islamischen Swat-Tal lebte, wo Mädchen nicht zur Schule gehen dürfen. Malala forderte öffentlich ihr Recht auf Bildung ein, Taliban-Attentäter schossen ihr in den Kopf, Malala überlebte nur mit viel Glück und erhielt 2014 den Friedensnobelpreis. Pakistan ist darüber hinaus ein armes Land. Über 6.100 Pakistaner beantragten in den ersten zehn Monaten des Jahres Asyl in Deutschland.

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