Gedenken in Berlin Zwei Koranverse für Frieden

Berlin · Mit einer starken Kundgebung betonen Staatsspitze und Religionsgemeinschaften ihre Solidarität

 Mahnwache für ein tolerantes Deutschland: Am Brandenburger Tor versammelten sich gestern zehntausend Menschen, um den Terroranschlägen eine Geste des Friedens entgegenzusetzen.

Mahnwache für ein tolerantes Deutschland: Am Brandenburger Tor versammelten sich gestern zehntausend Menschen, um den Terroranschlägen eine Geste des Friedens entgegenzusetzen.

Foto: dpa

Timo Tasche steht seit kurz vor 15 Uhr hinter der Absperrung. Warten auf den Bundespräsidenten. Seine Position in Reihe eins auf dem Pariser Platz will der 41-Jährige nicht aufgeben, bis Joachim Gauck gesprochen hat. Tasche, eigens aus dem westfälischen Marl angereist, ist gewissermaßen ein Vorposten der Mahnwache, mit der die Spitzen von Staat, Regierung und Bundestag wie auch Vertreter der Religionsgemeinschaften am Abend der Toten des Terroranschlags von Paris gedenken. Tasche will ein "markantes Zeichen" setzen - "gegen Hass und Gewalt" und für mehr "Liebe in der Welt", wie er in roten Lettern auf eine weiße Styroportafel geschrieben hat. Sollten die Kameras ihn ins Bild nehmen, soll das Land wie überhaupt die Welt da draußen lesen, worum es ihm geht.

150 Meter weiter zünden auch eine Woche nach dem Terror in Paris noch Passanten Kerzen links und rechts des Eingangs der französischen Botschaft zum Gedenken an die Opfer an. Hunderte Blumensträuße und Gestecke liegen auf dem Bürgersteig, dazwischen ungezählte Bleistifte oder Kugelschreiber - als Symbole der freien Presse. Auf einem der vielen in dem Blumenfeld abgestellten Schilder steht in Französisch: "Soldaten der Freiheit, Tote des Lächelns." Und natürlich bekennen sich viele zu "Charlie" (Hebdo), jenem französischen Satiremagazin, das inzwischen weltweit als Synonym für Meinungs- und Pressefreiheit genannt wird.

Um 17.45 Uhr steht dann der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, vor der französischen Botschaft. Vorher hatte er noch gesagt, man wolle mit dieser gemeinsamen Mahnwache auch der verschiedenen Religionen zeigen, "dass Deutschland anders ist", als die Terroristen mit ihrem Anschlag glauben machen wollten. Doch jetzt ist Schweigen. Kranzniederlegung an der Botschaft.

Nach dem gemeinsamen Gang zur Bühne am Brandenburger Tor werden zwei Verse aus dem Koran vorgelesen - auf Arabisch und Deutsch. Auch ein Zeichen des kulturellen Miteinanders und der friedlichen Koexistenz der Weltreligionen in Deutschland. "Die Terroristen haben nicht gesiegt. Und die Terroristen werden auch in Zukunft nicht siegen", macht Mazyek Mut.

Bundespräsident Gauck verurteilt die Bluttaten von Paris als "Anschlag auf das freie Wort, auf die pluralistische Gesellschaft, auf das Recht auf Leben". Nahtlos geht es weiter: "Journalisten mussten sterben, weil sie ihre Meinung vertraten. Juden mussten sterben, weil sie Juden waren. Polizisten mussten sterben, weil sie das Gesetz ihres Landes verteidigten." Ein Anonymus aus der Schar der Pegida-Demonstranten hat zum jüngsten Mord an Juden in Frankreich noch auf ein Schild geschrieben, das er im Blumenmeer vor der französischen Botschaft abgelegt hat: "Wieder sind Juden Opfer eines antisemitischen, bestialischen Terrors geworden." Der Unbekannte grüßt mit "Schalom".

Gauck setzt auf Solidarität: "Der Terror ist international, aber das Bündnis der Freien und Friedfertigen ist es erst recht." Denn Freiheit und Menschenrechte seien "nicht nur französisch oder deutsch oder europäisch, sie sind nicht nur westlich. Sie sind universell." Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor bei einer Veranstaltung in Berlin betont: "Bevölkerungsgruppen wegen ihres Glaubens oder wegen ihrer Herkunft auszuschließen, das ist unseres freiheitlichen Staates nicht würdig." Merkel hat just an diesem Tag in ihrer Partei Widerspruch mit ihrer Feststellung provoziert, dass der Islam für sie zu Deutschland gehöre. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagt beispielsweise, dass Muslime zu Deutschland gehören, sei völlig in Ordnung. Aber wenn, wie die Kanzlerin sage, auch der Islam zu Deutschland gehöre, stelle sich doch die Frage, welcher Islam gemeint sei: "Gilt das auch für Islamismus, für Salafismus und für die Scharia?" Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) formuliert es so: "Der Islam ist ein Teil von Deutschland." Buschkowsky kennt die Probleme. In seinem Bezirk lebten 60.000 Muslime, die mit 260.000 weiteren Christen, Juden und Hindus in Neukölln ein Auskommen erreichen müssten.

Der Bundespräsident wiederum dankt vor dem Brandenburger Tor "den muslimischen Gemeinschaften und allen Muslimen, die hier und heute sagen: ,Terror, nicht in unserem Namen!'" Das Staatsoberhaupt verweist darauf, dass Einwanderung Deutschland "vielfältiger" gemacht habe - "religiös, kulturell und mental". Die offene Gesellschaft beziehe ihre Stärken eben gerade aus ihren Unterschieden. Allerdings gebe es auch Entwicklungen, die Sorgen bereiteten. "Die Feindbilder und Konflikte im Nahen Osten, sie wirken häufig bis auf unsere Straßen." Zu Fremdenfeindlichkeit seien "fundamentalistische Strömungen" gekommen. Dann ruft Gauck den "Fanatikern und Terroristen" zu, was er zu Beginn seiner Amtszeit auch an die Rechtsextremen adressiert hatte: "Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Hass ist unser Ansporn."

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