"Speaker" des Unterhauses Bercow wird bedeutende Figur im Brexit-Drama

London · John Bercow, der „Speaker“ des Unterhauses, hat Theresa May einen Strich durch ihre Brexit-Rechnung gemacht. Nun ringt die Regierung um eine Lösung, um den Deal mit der EU noch zu retten.

 John Bercow, Parlamentspräsident des Unterhauses.

John Bercow, Parlamentspräsident des Unterhauses.

Foto: dpa

Mit einer weiteren Abstimmung über Premierministerin Theresa Mays Brexit-Deal wird es diese Woche nichts. Als ob es nicht schon genug Wirren im Brexit-Chaos geben würde, hat der Sprecher des Unterhauses John Bercow die Sache noch einmal komplizierter gemacht. Bercow erklärte zur Überraschung von Abgeordneten wie Regierung, dass die Premierministerin das Paket von Austrittsabkommen und politischer Absichtserklärung ohne „substanzielle Änderungen“ nicht zum dritten Mal dem Unterhaus vorlegen kann. Jetzt überlegt die Regierung verzweifelt, wie sie Mays Deal noch retten kann.

Der Plan war, das Unterhaus vor dem EU-Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag noch einmal abstimmen zu lassen, um dann im Fall einer Annahme um einen kurzen und im Fall einer Ablehnung um eine längere Fristverlängerung beim Gipfel zu bitten. Die Regierung hält jedoch weiterhin daran fest, es in der nächsten Woche noch einmal zu versuchen, wie Brexit-Minister Stephen Barclay am Dienstag in der BBC unterstrich. Sollten sich genügend Abgeordnete finden, die Mays Deal unterstützen, argumentierte Barclay, würden sie „einen Weg finden“, um Bercows Entscheidung zu umgehen.

Eine immer bedeutendere Figur

Der „Speaker“ John Bercow wird zu einer immer bedeutenderen Figur im Brexit-Drama. Denn Bercow füllt nicht nur eine zeremonielle Rolle aus. Auch wenn der 56-Jährige einerseits die skurrilen Traditionen des Parlaments verkörpert, so hat der Mann doch wirkliche Macht. Denn er ist der ultimative Schiedsrichter im Parlament.

Er erteilt das Wort, legt Redezeiten fest, wählt Änderungsanträge aus und ändert auch schon einmal, wenn er es für nötig hält, das Reglement. Wie geschehen im Januar, als er zuließ, dass der Hinterbänkler Dominic Grieve einen Regierungsantrag zur Geschäftsordnung mit einem „Amendment“, einem Änderungsantrag versehen durfte, der die Premierministerin verpflichtete, innerhalb von drei Sitzungstagen ihren Plan B vorzustellen. Normalerweise sind solche Regierungsanträge unabänderlich. Als ihm erboste Abgeordnete der regierenden Tory-Partei vorhielten, dass es dafür keinerlei Präzedenzfälle gäbe, entgegnete Bercow: „Wenn wir uns immer nur an die Tradition halten, kann es keine Veränderung geben.“

Erzürnte Regierungsmitglieder

Das war vor zwei Monaten. Jetzt hat er ausgerechnet mit Hinweis auf die Tradition der Regierung erneut ein Bein gestellt. Seit dem Jahr 1604, erklärte der Sprecher, gelte die Konvention, dass innerhalb einer Sitzungsperiode das Parlament nicht erneut über einen Antrag zu entscheiden habe, den es zuvor angenommen oder abgelehnt hat.

Kein Wunder, dass Regierungsmitglieder jetzt, gelinde gesagt, erzürnt sind über einen Parlamentspräsidenten, der Präzedenzfälle wie es ihm gefällt mal so oder mal so auslegt. Dazu kommt, dass Bercow aus seiner Ablehnung des Brexit nie einen Hehl gemacht hat. Im Referendum hat er für den Verbleib in der EU gestimmt. Das macht ihn zur Hassfigur auf der Seite der Brexit-Hardliner.

Die Optionen, die Premierministerin May jetzt verbleiben, sind begrenzt. Die EU hat deutlich gesagt, dass ein Wiederaufschnüren des Austrittsvertrages ausgeschlossen ist. Damit kann May nicht auf die von Bercow eingeklagten „substanziellen Änderungen“ hoffen. Sie wird an diesem Donnerstag auf dem EU-Gipfel ihre 27 Amtskollegen um eine Fristverlängerung nach Artikel 50 bitten müssen (siehe Artikel unten). Die Entscheidung muss einstimmig fallen, und sollte es ein Veto geben, wäre die Gefahr eines No-Deal-Szenarios wieder aktuell.

Weg frei für dritte Abstimmung?

Zur Zeit bearbeiten Unterhändler der Regierung unter Hochtouren die Vertreter der nordirischen DUP, deren Unterstützung des Brexit-Deals als wichtig dafür gehalten wird, dass auch eine Reihe von konservativen Deal-Gegnern umgestimmt werden können.

Sollten genügend Abgeordnete zusammenkommen, gäbe es die Möglichkeit, Bercows Entscheidung auszuhebeln: Durch einfache Mehrheit ließe sich kurzerhand der Punkt der Geschäftsordnung ändern, dass Regierungsanträge nicht wiederholt in der gleichen Form gestellt werden dürfen. Damit wäre der Weg frei für eine dritte Abstimmung.

Eine andere Möglichkeit wäre eine kurzfristige Aufhebung des Parlaments und der unmittelbare Beginn einer neuen Sitzungsperiode, in der dann der Deal wieder eingebracht werden könnte.

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