Pro-EU-Bürgerinitiative Blaue Stunde für Europa

Köln/Bonn · Unter dem Motto „Pulse of Europe“ formiert sich eine neue Bürgerbewegung. Ihr Ziel ist es, für die vielgescholtene Europäische Union eine Lanze zu brechen. Auch Bonner machen mit.

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Die Farbenlehre ist klar. Blau. Blaue Fahnen mit den zwölf goldenen, fünfzackigen Sternen. Überall sind sie zu sehen auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz. Seit Anfang Februar treffen sich hier Hunderte Menschen jeden Sonntag um 14 Uhr. „Pulse of Europe“ nennt sich die Bewegung, die nicht nur in Köln beständig wächst, und die ein bisschen anders ist als andere. Denn statt wie im Normalfall gegen etwas zu demonstrieren, gehen die Teilnehmer für etwas auf die Straße. Genau genommen für die ansonsten vielgescholtene Europäische Union.

Mit Europafahnen, Luftballons oder Schildern, auf denen zum Beispiel steht: „Europa – Du bes e Jeföhl“, wollen die Menschen Flagge zeigen für ein vereintes Europa. Beendet wird die Kundgebung immer mit einer Menschenkette und dem Absingen der Europahymne, Ludwig van Beethovens „Ode an die Freude“ .

„Europa ist notwendig für ein friedliches Zusammenleben“, sind Sandra Clauß und Hubert Jenn überzeugt, die zum zweiten Mal an der Kundgebung teilnehmen. Sie haben ihre Gesichter blau mit goldenem Stern geschminkt. Beide sind ganz klar für ein vereintes Europa, was sie an Kritik aber nicht hindert: „Europa hat zu lange und zu sehr nur auf Wirtschaftspolitik gesetzt und das Soziale und die Menschen aus den Augen verloren“, sagt Jenn. „Es gibt ganz klar Reformbedarf in Europa“, ergänzt Clauß, „aber das ist etwas anderes, als Europa kaputt zu machen.“ Mit dabei ist auch der zwölfjährige Neffe Moritz. Er hat sich einen Luftballon in die Haare gebunden. „Ich will, dass Europa zusammenbleibt und sich nicht noch weitere Länder abspalten.“ Der Brexit, sagt er noch, sei auch bei ihm und seinen Freunden ein großes Thema gewesen.

„Wir wollen die Plätze nicht den Populisten überlassen“, sagt Christophe Kühl, Organisator der Kölner „Pulse of Europe“-Demos. Letztlich, so Kühl, sei er unpolitisch. „Die vergangenen 20 Jahre war ich, wie so viele meiner Generation, in politischer Lethargie verfangen. Aber jetzt werden wir politisch aktiv“, sagt er, „weil viel auf dem Spiel steht“.

„Positive Antworten auf negative Menschen“, steht auf einem Plakat, „Es gibt noch viel Liebe hier“ ist auf einem anderen zu lesen. Es sind auch Botschaften gegen den Hass, der immer mehr um sich greift. Kühl ist Deutsch-Franzose und auch persönlich betroffen, wenn es um das vereinte Europa geht. Seine Großväter haben im Weltkrieg noch gegeneinander gekämpft. „Und heute wollen ein paar Leute 70 Jahre europäische Einigung zerstören, nur um Wahlen zu gewinnen.“ Letztendlich aus der Lethargie geweckt habe ihn die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. „Da haben wir uns doch die Augen gerieben, weil wir es nicht für möglich gehalten haben. Dabei hätten wir es nach dem Brexit doch schon besser wissen müssen“, sagt Kühl.

Er sei davon überzeugt, dass die Europa-Befürworter sowohl in Deutschland als auch in der EU in der Mehrheit sind – im Gegensatz zur AfD, die nur behaupte, für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Diese Ansicht wird übrigens von einer Studie der Bertelsmannstiftung gestützt, die darlegt, dass die Zustimmung der Bevölkerung zur EU in den Mitgliedsstaaten höher ist als deren Ablehnung. Das aber vermag nur teilweise zu überdecken, dass eben auch die Defizite des Brüsseler Institutionengefüges zum Gedeihen der Protestparteien beitrugen. Und längst ist die Entfremdung zwischen Volk und Repräsentanten der europäischen Institutionen auch in der bürgerlichen Mitte zu vernehmen.

An Angriffsflächen mangelt es nicht: Von fehlender demokratischer Legitimation höchster Repräsentanten in Gestalt der EU-Kommissare über die fehlende Linie in der Migrationspolitik bis hin zur geduldeten Insolvenzverschleppung des griechischen Staates und der vermeintlichen Rettung der Gemeinschaftswährung unter fortgesetztem Bruch der eigenen Prämissen. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte ein Satz von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der vor Jahren die Entscheidungen im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs wie folgt beschrieb: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Nicht viel vertrauenerweckender wirkten Zitate Junckers à la „Wenn es ernst wird, müssen wir lügen“ oder „Wir haben die Folterwerkzeuge im Keller“.

Dass die Europäische Union „an vielen Stellen Schwächen hat, die von der Politik dringend in Angriff genommen werden müssen, wenn dieses europäische Projekt nicht an Akzeptanz verlieren will“, räumt auch Peter Ruhenstroth-Bauer ein. Er ist einer der Initiatoren der Bonner „Pulse of Europe“-Gruppe, die als ausdrücklich überparteiliche Bürgerbewegung am vergangenen Sonntag erstmals und mehr oder weniger spontan gut 400 Menschen auf den Marktplatz brachte. Der Bonner Rechtsanwalt, der vor eineinhalb Jahren für die SPD als Oberbürgermeisterkandidat antrat, setzt gemeinsam mit seinen Mitstreitern auf einen „emotionalen Zugang, der nicht blauäugig Schwächen verschweigt“, sondern der den Wert und die Bedeutung Europas für jeden Einzelnen in den Mittelpunkt stelle. Ruhenstroth-Bauer formuliert es so: „Unser Glas ist also halb voll – nicht halb leer“.

Die Europäische Union beschreibt der Bonner als einen grenzüberschreitenden, friedenssichernden Zusammenschluss von Staaten zu einer Wertegemeinschaft, ohne dabei das „europäische Ganze“ aus dem Blick zu verlieren. Denn dass einerseits Europa größer ist als die EU und andererseits paneuropäische Ideale älter als der „Pulse of Europe“ versteht Peter Ruhenstroth-Bauer eher als Bestätigung denn als Gegensatz der eigenen Thesen. So hätten bürgerliche, transnationale Bewegungen der Vergangenheit bewiesen, dass daraus politischer Handlungswille und Handlungsmöglichkeiten erwachsen können. Auch ist es für den Bonner kein aussichtsloses Unterfangen, eine überparteiliche Bürgerbewegung mit etablierten Institutionen in Einklang zu bringen. Bewusst gewählt sei in diesem Sinne der „emotionale Zugang zu den Werten und der Idee Europas“, so Ruhenstroth-Bauer.

Mindestens bis zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Mai soll der „europäische Puls“ in Bonn nun weiter schlagen. Bereits an diesem Sonntag geht es um 14 Uhr auf dem Bonner Marktplatz weiter. Natürlich in blau.

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