Fall Mollath Bonner Professor kritisiert die Justiz

Bonn/München · Gustl Mollath ist 56 Jahre alt, doch von der Welt außerhalb von psychiatrischen Einrichtungen hat der Mann seit sieben Jahren nichts gesehen - abgesehen von einer Fahrt nach München, zum Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags, der seinen Namen trug.

Gustl Mollath ist Deutschlands bekanntester Psychiatrie-Insasse, sitzt derzeit im Bezirkskrankenhaus Bayreuth ein. Vor gut zehn Jahren soll er seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen haben. Vom Vorwurf der Körperverletzung und Sachbeschädigung wurde er 2006 zwar wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth kam aber zu dem Schluss, dass er wahnkrank, aggressiv und gefährlich sei und deshalb in die geschlossene Anstalt eingewiesen werden müsse. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wird es so schnell nicht geben, denn die sowohl von Verteidigung als auch von Staatsanwaltschaft gestellten Anträge lehnte das Landgericht Regensburg gestern ab.

Gustl Mollath selbst sieht sich als Opfer eines Komplotts seiner früheren Ehefrau, einflussreicher Personen im Freistaat und der bayerischen Justiz, weil er auf Schwarzgeldgeschäfte hingewiesen habe. In der Tat war das Verfahren erst so richtig in Gang gekommen, nachdem er im Jahr 2003 Anzeige erstattet hatte.

Es ging um "Tausende Fälle, den größten und dreistesten Schwarzgeldverschiebungsskandal, der bisher bekannt ist", sagte Mollath seinerzeit selbst. Er hatte davon berichtet, dass seine damalige Frau als Angestellte der HypoVereinsbank immer wieder in die Schweiz gefahren sei, um dort das Geld von vermögenden Kunden anzulegen.

Ob es sich tatsächlich um eine Verschwörung gehandelt hat, die Mollath für Jahre in die Psychiatrie gebracht hat, ist noch unklar. Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss legten zwar nahe, dass es nicht so war. Auch die Dimension der illegalen Schwarzgeldgeschäfte war wohl alles andere als gigantisch. Der heute mit dem Fall befasste bayerische Steuerfahnder sprach im Untersuchungsausschuss von Fällen "im eher niedrigen Bereich". Ganz ausgeräumt sind die Vorwürfe aber nicht.

Dass der bayerische Landtag ein solches parlamentarisches Gremium eingesetzt hat, zeigt allerdings die politische Dimension des Falls. "Von der Nachlässigkeit, mit der die Justiz mit Mollath umgegangen ist", spricht Florian Streibl von den Freien Wählern. "Er hat irgendwann den Stempel des Spinners bekommen - und deswegen hat man nicht mehr beachtet, was er geschrieben hat." Erschwerend kam hinzu, dass sich Mollath nicht untersuchen lassen wollte.

An dieser Stelle der Geschichte kommt der emeritierte Bonner Professor Klemens Dieckhöfer ins Spiel. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie und hat schon vor eineinhalb Jahren eine gutachterliche Analyse erstellt.

Seine Grundaussage: Das Gericht entschied seinerzeit nur auf Grund von Gutachten, in denen ausschließlich falsche Aussagen der früheren Ehefrau angeführt worden waren. Es habe keine "Fremdanamnese" stattgefunden. Das heißt: Berichte aus der engeren und weiteren Umgebung Mollaths seien nicht eingeholt worden.

In Dieckhöfers Analyse heißt es: "Solange jegliche einschlägige Recherche beziehungsweise gründliche Fremdanamnese in geradezu unverständlicher Weise seitens des Gutachters unterlassen worden ist, kann keine der diagnostischen Behauptungen als stichhaltig gelten." Der Gutachter habe zur Schwarzgeld-Behauptung Mollaths nichts weiter recherchiert, sondern diese einfach als paranoides Gedankensystem abgetan. Das hatte Mollath 2006 in die Psychiatrie gebracht.

"Ein seriöses Gutachten kommt aber nie ohne Fremdanamnese aus, wenn es um Wahn geht", sagt Dieckhöfer. Nach seiner Analyse stand die Diagnose "Wahnkrankheit" schon von Anfang an fest. Ein solches Gutachten bringe den gesamten Berufsstand in Verruf, sagt er und ist auch heute noch empört.

"Es ist nicht hinnehmbar, wie Mediziner unserer Profession sich zu Lasten Unschuldiger gutachterlich äußern." Gleichwohl werde die ganz überwiegende Mehrzahl der psychiatrischen Gutachten ordentlich gemacht.

Die Kritik Dieckhöfers an den Gutachten im Fall Mollath führte zu weiteren Verwicklungen. Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) bezeichnete die Analyse des Bonner Professors im Untersuchungsausschuss als "unwissenschaftlich". Das wiederum brachte Dieckhöfer auf, der seit Jahrzehnten forensisch-psychiatrische Gutachten erstellt. Er fühlte sich in seiner Berufsehre verletzt und verklagte die Ministerin wegen "Ehrabschneidung".

"Ich lasse mir nicht bieten, wenn sie meine Analyse als unwissenschaftlich bezeichnet", sagt Dieckhöfer und zeigt sich kämpferisch. In der Geschichte sei die Psychiatrie mehrfach missbraucht worden. Die "Roten" und die "Braunen" hätten politisch Missliebige in die Psychiatrie weggesperrt.

Er hätte sich nicht vorstellen können, dass so etwas nun auch in Bayern, in der Demokratie passiert, so Dieckhöfer. Wann das Verfahren gegen Merk vor dem Verwaltungsgericht München beginnt, steht laut Dieckhöfer noch nicht fest. Vermutlich werde es erst nach der bayerischen Landtagswahl Mitte September starten.

Merk war im Fall Mollath zuletzt ohnehin mehrfach unter Beschuss geraten. Im vorigen Jahr hatte sie sich zunächst monatelang vor die Justiz gestellt, dann Ende November in einer abrupten Wende einen Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft angeordnet - und insofern reichlich spät Dieckhöfers Empfehlungen umgesetzt.

Zudem wollte sie von Fehlern der bayerischen Justiz nichts wissen. In ihrer Vernehmung im Mollath-Untersuchungsausschuss im Juni hatte sie erklärt, sie werde Entscheidungen der unabhängigen Justiz nicht kommentieren. Eine der zentralen Fragen: Warum wurde nach Hinweisen Mollaths auf Schwarzgeldverschiebungen bei der HypoVereinsbank kein Ermittlungsverfahren eingeleitet? Die Antwort der Ministerin: Mollath habe damals keine Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer Straftat vorgetragen.

Mittlerweile hat auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das bayerische Justizministerium um eine Stellungnahme gebeten, ob die Unterbringung Mollaths noch verhältnismäßig ist.

Der Bonner Professor Klemens Dieckhöfer ist sicher, dass Mollath demnächst frei kommt. Doch für ihn sei der Fall damit noch nicht erledigt, sagt er. "Ich möchte gern wissen, warum die beiden Gutachter sich nur auf die Angaben der früheren Ehefrau verlassen haben, sich aller Möglichkeiten begeben haben, den Fall aufzuklären und zu dem Schluss gekommen sind, Mollath sei wahnkrank." Bisher haben sie auf seinen Vorhalt, ihre Gutachten seien unwissenschaftlich, nicht reagiert. Dieckhöfer hat die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass er noch eine Antwort bekommt - zum Wohle Mollaths, aber auch seines Berufsstandes. ga/dpa

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