Nawalny-Urteil in Russland Botschaft an alle Kreml-Kritiker

Moskau · Der Putin-Kritiker Alexej Nawalny wird erneut wegen Holzdiebstahls verurteilt. Tatsächlich wirkte der zweite Kirower Prozess wie eine etwas hastige Kopie des ersten. Nawalny hatte angekündigt, 2018 bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten.

 Fünf Jahre Haft auf Bewährung: Alexej Nawalny.

Fünf Jahre Haft auf Bewährung: Alexej Nawalny.

Foto: dpa

Richter Alexei Bjurin leierte die 25-seitige Urteilsbegründung herunter wie Verse aus dem Alten Testament. Der Angeklagte Alexej Nawalny langweilte sich, obwohl er gerade erst schuldig gesprochen worden war. Der Saal wartete darauf, dass der Richter auch das Strafmaß verkünden würde. Nawalny amüsierte sich per Twitter, das Urteil entspräche komplett dem vom Juni 2013, als er und sein Mitangeklagter Pjotr Ofizerow zum ersten Mal als Holzdiebe verurteilt worden waren: „Lächerlich, selbst die Zeugenaussagen sind wortwörtlich aus dem vorigen Urteil genommen. Obwohl die Zeugen diesmal etwas anderes gesagt haben.“

Tatsächlich wirkte der zweite Kirower Prozess gegen Nawalny und Ofizerow wie eine etwas hastige Kopie des ersten. Wieder schloss sich das Gericht den Argumenten der Staatsanwaltschaft an: Nawalny und sein Geschäftsfreund Ofizerow hätten einen Staatsbetrieb genötigt, einer von Ofizerow gegründeten Firma 10.000 Kubikmeter Holz zum Dumpingpreis zu verkaufen und dabei um umgerechnet 250.000 Euro betrogen. Wieder bestritten beide Angeklagte ihre Schuld, wieder verwies die Verteidigung vergeblich auf Zeugenaussagen, Ofizerow habe das Holz zu üblichen Marktpreisen gekauft.

Und wie 2013 erhielt Nawalny am Ende fünf Jahre Haft, auf Bewährung, für russische Verhältnisse fast so glimpflich wie ein Freispruch. Aber nach dem Wahlrecht bedeutet der Schuldspruch auch, dass Nawalny erst zehn Jahre nach Ablauf seiner Strafe bei Präsidentschaftswahlen antreten darf. Dabei hatte sich der Antikorruptionskämpfer schon im Dezember als Wladimir Putins demokratischer Gegenkandidat bei den Wahlen 2018 präsentiert, eröffnete unlängst Wahlkampfbüros in Petersburg und Sibirien. „Das war ein Telegramm aus dem Kreml, dass sie mich, mein Team und alle Gleichgesinnten für zu gefährlich halten, um mich zu den Wahlen zuzulassen“, erklärte Nawalny noch im Gerichtsaal. Das Urteil werde man erfolgreich anfechten.

Viele Experten bezweifeln, ob das gelingt. „Dieses Wiederholungsurteil ist ungesetzlich“, sagt der Rechtsanwalt Mark Fejgin. „Es beruht auf dem selben Straftatbestand wie das Urteil im ersten Prozess, dass das Europäische Menschenrechtsgericht für rechtswidrig erklärt hat und das russische Verfassungsgericht danach kassiert hat.“ Aber Nawalny müsse in Berufung gehen, durch alle Instanzen, es dauere zu lange, bis das Europäische Menschenrechtsgericht das Urteil erneut aufhebt. „Diese Wahlen werden ohne Nawalny stattfinden.“ Nawalnys Anwältin Olga Michailowa allerdings sagte der Agentur Interfax, laut Verfassung dürften sich alle Bürger wählen lassen, die nicht in Haft sitzen. „Die Gesetze kollidieren.“ Und die Zeitung „Moskowski Komsomoljez“ titelte schon vor der Urteilsverkündigung: „Nawalny ist Präsidentschaftskandidat.“

In Moskau wird jetzt spekuliert, ob der Kreml vielleicht doch ein juristisches Fenster öffnet, um Nawalny die Teilname an den Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen. Ähnlich wie 2013. Damals kandidierte der nationalliberale Politiker wenige Tage nach seiner ersten Verurteilung in Kirow bei den Bürgermeisterwahlen in Moskau und gewann sensationell über 27 Prozent. Putins übliche Gegenkandidaten wie der Kommunist Gennadi Sjuganow oder der Nationalist Wladimir Schirinowski gelten als unattraktiv, der Kreml muss eine miserable Wahlbeteiligung fürchten. Nawalny könnte diese heben, aber dem Amtsinhaber ernsthafte Probleme bereiten.

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