Heftige Kontroverse Bundesregierung legt den Armuts- und Reichtumsbericht vor

BERLIN · Im Bundeskabinett spielte das Thema "Armutsbericht" am Mittwoch keine Rolle mehr. Er wurde kommentarlos durchgewinkt. Der Ärger, den die Kontroverse zwischen dem federführenden Arbeitsministerium und dem mitzuständigen Bundeswirtschaftsministerium auslöste, ging im Grunde von einer Kleinigkeit aus.

 Ohne Suppenküchen wäre die Lage für viele Europäer noch schlimmer als sie es schon ist.

Ohne Suppenküchen wäre die Lage für viele Europäer noch schlimmer als sie es schon ist.

Foto: dpa

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wollte einen Satz im Entwurf von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht stehenlassen: "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt." Diese Formulierung musste von der Leyen streichen. Stattdessen steht auf Seite 343 des Berichts ein ähnlicher Satz über das Geld- und Immobilienvermögen sowie die Schulden der Haushalte.

Dort ist von einer "sehr ungleichen Verteilung von Privatvermögen" die Rede. Die Arbeitsministerin, die gestern allein vor die Presse ging, strahlte jedenfalls vor Selbstzufriedenheit, es dem Koalitionspartner gezeigt zu haben. Das Argument des Wirtschaftsministers: Deutschland gehe es so gut, dass man auch einmal darauf hinweisen dürfe. Widerstand gegen seine Position nannte er "Wahlkampfgetöse".

Der Bericht besagt, dass die Gräben zwischen Arm und Reich tiefer geworden sind. Auf die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte entfallen 53 Prozent des gesamten Netto-Vermögens. Umgekehrt: Die unteren 50 Prozent der Haushalte verfügen über ein Prozent der Vermögenswerte. Vor zehn Jahren seien es noch drei Prozent gewesen. Während der Staat weniger Geld an Steuereinnahmen quittieren konnte, sank bundesweit der Bar-Besitz von 1992 bis 2012 um 800 Milliarden Euro.

Die privaten Haushalte können in dieser Zeit auf eine Verdopplung des Eigentums auf fünf Billionen Euro blicken. Auslöser der staatlichen Verluste sind maßgeblich die Privatisierungserlöse. Die dabei erzielten Erträge werden schnell in die Haushalte von Bund und Ländern eingestellt, um dort "zu versickern". Eine nachhaltige Beruhigung in den deutschen Haushalten hat es als Folge der Privatisierung nicht gegeben.

Wichtiger ist den Autoren die Darstellung der konkreten Armut in Deutschland. Die Armutsgefährdung liegt demnach bei knapp unter 1000 Euro pro Monat. Betroffen sind zwischen einem Sechstel und einem Siebtel der deutschen Bevölkerung.

Stichwort Niedriglohnsektor: Der Anteil der Beschäftigten stieg auf 24 Prozent der Bevölkerung. In absoluten Zahlen: Im Jahr 2010 waren es knapp acht Millionen Menschen. Der Standard-Lohn: Etwas über neun Euro. Meistens muss der Staat mit einspringen.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sank kräftig. Zwischen 2007 (1,73 Millionen Langzeit-Arbeitslosen) und 2012 (1,03 Millionen) klafft ein Unterschied von rund 40 Prozent. Auch beim Stand der Jugendarbeitslosigkeit hat Deutschland die besten Karten. Während vor allem EU-Südländer eine Jugendarbeitslosenquote von bis zu 50 Prozent haben, verzeichnet Deutschland einen Bruchteil.

Der Anteil erwerbsfähiger Hartz-IV-Empfänger ist, gemessen an der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung, von 9,77 auf 8,2 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen: Es gibt 4,5 Millionen Hartz-Leistungsempfänger. Unter ihnen sind es 1,63 Millionen, die jünger als 15 Jahre alt sind. Schließlich: Die Zahl der Schüler ohne Abschluss ist zwischen 2006 und 2010 von acht auf 6,5 Prozent gesunken.

Die Oppositionsparteien lehnten die Aussagen des Berichts ab. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil hielt der Bundesregierung vor, den Bericht "frisiert" zu haben. Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, regte an, eine unabhängige Experten-Kommission mit der Studie zu beauftragen. Dem schloss sich der Paritätische Wohlfahrtsverband an.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort