Mit viel Gefühl So schlug sich Olaf Scholz in der ARD-„Wahlarena“

Berlin · Keine drei Wochen vor der Wahl liegt Olaf Scholz in den Umfragen klar vorne. Jetzt stellte sich der Vielleicht-Kanzler in der ARD den Fragen normaler Bürger. Dabei zeigt er, dass er kein Eisklotz ist. In Sachen Linkspartei eiert Scholz aber wieder einmal herum.

 SPD-Kanzlerkandidat stellte sich 75 Minuten lang den Fragen von Bürgern.

SPD-Kanzlerkandidat stellte sich 75 Minuten lang den Fragen von Bürgern.

Foto: dpa/Axel Heimken

Klare Kante bewies Scholz... beim Mindestlohn. Gleich mehrere Gastronomen waren in Lübeck bei der „Wahlarena“ in einer früheren Werft dabei. Dietmar Engel aus Hannover schmerzt der Mindestlohn, den Scholz als Kanzler von derzeit 9,50 Euro auf 12 Euro pro Stunde anheben will. Engel schilderte, dass er das ungelernten Aushilfen nur mit großer Mühe zahlen könnte. Er wünsche sich mehr Hilfe vom Staat – sonst koste der Kaffee bei ihm im Lokal bald nicht mehr 3,10 Euro, sondern bis zu vier Euro.

Scholz ließ sich vom Wehklagen des Wirts nicht beeindrucken: „Ich bin sehr dafür, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben. “ Warnungen der Wirtschaft vor Jobverlusten durch Einführung der Lohnuntergrenze seien nie eingetroffen. Jubel im Gastro-Block brandete dafür auf, als Scholz zusagte, dass der in der Pandemie eingeführte ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Speisen zeitlich unbegrenzt gelten solle.

Endlich wurde im Wahlkampf... über das Megathema Rente geredet, das beim ersten TV-Triell der drei Kanzlerkandidaten sträflich vernachlässigt worden war. Nun fragte ein Mann, der im Sicherheitsdienst arbeitet, wie man mit 1400 Rente nach 40 Jahren und hohen Kosten für Krankenkasse und Pflege über die Runden kommen solle? Und wo bleibe die Reform der Riester-Rente. Nach einem kleinen Arroganz-Anfall (“Die Frage ist falsch gestellt“) klärte Scholz das Publikum fachkundig über die Rentenlage auf. Alle Fachleute hätten sich mit Warnungen vor einer Beitragsexplosion geirrt, dem Boom am Arbeitsmarkt sei dank.

Forderungen nach einer späteren Renteneintrittsalter - also über 67 Jahre hinaus - wies er zurück. Die Deutschen würden statistisch zwar immer älter. Aber mit 75 sei man trotzdem nicht so fit wie mit 40. Bei Riester, der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge, lobte Scholz das schwedische Modell. Im hohen Norden legt der Staat sehr effizient das Geld der Arbeitnehmer in einem Fonds an. „Da können wir mal hingucken.“ Eine Riester-Reform hatten Union und SPD allerdings schon 2018 versprochen. Passiert ist seitdem - nichts.

Schwächen zeigte Scholz... beim Klimaschutz. Eine 25-jährige Studentin aus Köln machte dem Kanzlerkandidaten Druck. Sie ärgere sich über SPD-Plakate, auf denen Scholz als „Klimakanzler“ beworben werde, die schwarz-rote Koalition aber ihre Klimaziele nur mühsam oder gar nicht umgesetzt habe. Scholz versprach, er wolle im ersten Jahr als Kanzler die Ausbauziele für grünen Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse heraufsetzen. Er beka nnte sich erneut zum Kohleausstieg 2038: „Das ist natürlich der Ehrgeiz, den wir jetzt erfüllen müssen.“

Ehrgeizig ist dieses Ziel in den Augen vieler Klimaschützer mitnichten. Selbst CSU-Chef Markus Söder hält 2030 für machbar. Wahrscheinlich kommt der Ausstieg sowieso früher, weil steigende CO2-Preise die Kohleverstromung für die Industrie unrentabel machen. Scholz verwies auf den unbestritten steigenden Strombedarf vieler Branchen bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktion. Deutschland könne nicht gleichzeitig auf Atomkraft und Kohle verzichten: „Man kann nicht aussteigen, ohne irgendwo einzusteigen.“

Viele warme Worte, wenig Konkretes. Noch scheint unklar zu sein, wie die traditionelle Kohle-und-Kumpel-Partei SPD den Spagat zu mehr Klimaschutz schaffen will - aber dafür könnte Scholz die Grünen um Annalena Baerbock und Robert Habeck in die nächste Regierung holen.

Haarig wurde es... für den SPD-Spitzenmann bei kritischen Fragen aus dem Publikum nach seiner Verantwortung beim Cum-ex-Finanzskandal, dem Versagen der Bankenaufsicht Bafin beim Betrugskonzern Wirecard oder den linksradikalen Krawallen beim G20-Gipfel in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister. Ein 58 Jahre alter Finanzbeamter aus Lübeck zweifelte, ob er Scholz noch vertrauen könne. Der ging in die Vorwärtsverteidigung.

Der Finanzminister redete nur über Wirecard und lobte sich selbst, weil er die Bankenaufsicht nach dem Skandal reformiert habe. Seine undurchsichtige Rolle und seine Gedächtnislücken in der Steueraffäre um die Hamburger Privatbank Warburg erwähnte er selbst natürlich nicht. In einem Triell hätten ihn gut vorbereitete Journalisten hier nicht so leicht davon kommen lassen wie der Bürger.

Der emotionalste Moment... war die Schilderung einer Kassiererin aus Lübeck, wie sie einen Kunden beim Ladendiebstahl erwischte. Der Mann schlug ihr ins Gesicht. Sie leidet bis heute an den Folgen. Der Täter bekam nur eine kleine Strafe. Scholz zeigte Mitgefühl. „Es ist schrecklich, was sie erlebt haben.“ Opfer von Gewalt büßten ihr Sicherheitsgefühl ein. Das dürfe eine Gesellschaft nicht zulassen. Die Polizei müsse gut ausgestattet sein, Politik und Bürger sollten aber den Gerichten vertrauen. Oft wurde Scholz – auch in seiner eigenen Partei - unterstellt, er sei nicht empathisch genug, lasse Menschen zu wenig an sich heran. Hier kümmerte er sich aufrichtig um das Leid der Frau, man nahm ihm die Betroffenheit ab.

Auch bei der Frage einer Zuschauerin nach Sterbebegleitung und einem Recht auf einen selbst bestimmten Tod zeigte sich Scholz feinfühlig und kundig. Er habe viele Hospize besucht und sei offen für die Wegweisung des Bundesverfassungsgerichts. Hier sollte der Bundestag in einer Gewissensentscheidung sich mit dieser großen ethischen Frage auseinandersetzen.

Nichts Neues gab es... bei Scholz und der Linkspartei. Wenige Stunden vor der Sendung hatten Kanzlerin Merkel und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet im Bundestag erneut vor einem drohenden Linksrutsch gewarnt und Scholz vorgeworfen, sich die Option Rot-Rot-Grün offenzuhalten. In der Wahlarena hakte ein junger Mann explizit nach. Wenn er SPD wähle, bekomme er dann die Linke gleich mit?

Scholz redete sich heraus, diese Entscheidung müssten die Wähler selbst treffen. Dazu referierte er wie im Triell, wie wichtig Nato und transatlantische Zusammenarbeit mit den USA, eigene militärische Fähigkeiten Europas seien. Alles Dinge, wo die Linkspartei nicht mit an Bord ist. Für ihn könne es deshalb nur eine Regierung geben, in der diese Grundsätze vom ersten bis zum letzten Tag Geltung hätten. Knallhart geht anders. Die linke Flanke des SPD-Kanzlerkandidaten bleibt offen - in den Umfragen scheint die Rote-Socke-Kampagne der Union Scholz aber nicht zu schaden.

Die nächste „Wahlarena“ (nach Annalena Baerbock von den Grünen und nun Scholz) findet am 19. September mit Unionskanzlerkandidat Armin Laschet statt.

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