EU-Kommission Chance für Christine Lagarde

BRÜSSEL · Bloß keine Personalspekulationen, mahnt Wolfgang Schäuble. "Zeitverschwendung, ein Unsinn, das Leben ist so kurz!" Neben dem deutschen Finanzminister auf dem Podium eines Brüsseler Hotels sitzt zu frühmorgendlicher Stunde Christine Lagarde, einst Schäubles Amtsschwester in Paris, jetzt Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington und zukünftig, so das jüngste Brüsseler Gerücht, womöglich Präsidentin der Europäischen Kommission.

 Christine Lagarde kommentiert Spekulationen nicht.

Christine Lagarde kommentiert Spekulationen nicht.

Foto: dpa

Was sagt sie selbst dazu? Nichts. Und Schäuble, Ehrenpräsident des geheimen VLV (Verband der Lagarde-Verehrer)? "Nonsense!"

Die Warnung vor dem Spielchen Wer-wird-was gehört zum Spielchen selbst. In diesem Fall ist sie nicht ganz logisch. Es geht nämlich um die Europa-Wahlen im Mai, und dabei sollen erstmals Spitzenkandidaten der europäischen Parteien für mehr Spannung sorgen: Die Konkurrenz, die zugleich eine Bewerbung um das Amt an der Spitze der EU-Zentrale ist, will erklärtermaßen das lahmende Interesse an Europa beleben. Etwas zugespitzt: Personalspekulationen sind der Sinn der Sache.

Und der beabsichtigte Effekt scheint sich durchaus einzustellen. Der Aufstieg des derzeitigen Präsidenten des Europa-Parlaments Martin Schulz zum sozialdemokratischen Spitzenkandidaten und - nicht mehr chancenlosen - Anwärter auf die Nachfolge des Kommissionschefs Barroso hat für Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Kandidatenkür der Grünen (wird am heutigen Mittwoch entschieden), der Liberalen (Doppelspitze Olli Rehn, Guy Verhofstadt) und der Linken (Alexis Tsipras) findet nicht völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Entscheidend ist freilich das Kräftemessen der beiden größten Parteifamilien, also das Duell des Genossen Schulz mit der Frontfigur der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP). Die soll Anfang März auf einem Kongress in Dublin offiziell auf den Schild gehoben werden. Seit die Sozialdemokraten in einigen Umfragen an der Konkurrenz vorbeigezogen sind, gestaltet sich die Suche hinter den Kulissen noch nervöser.

Die weltläufige Dame Lagarde ist allemal eine vorzeigbare Alternative. Sportlich gebräunt, mit einem prächtigen Schopf silbergrauer Haare und stets dezent elegant gewandet wäre sie schon optisch ein Kontrastprogramm zum stilistisch anspruchslosen Polit-Malocher Schulz. Als studierte Sozialrechtlerin mit reicher US-Erfahrung und einem Englisch, von dem ihr Bewunderer Schäuble nur träumen kann, kennt und schätzt sie das angelsächsische Wirtschaftsmodell ebenso wie das südeuropäische. Lagardes Kandidatur für den Spitzenplatz der EVP wäre freilich besonders riskant: Schon für den Wahlkampf müsste sie ihr derzeitiges, sehr ansehnliches Amt niederlegen. Und nachdem zuletzt bereits dreimal ein europäischer IWF-Chef vorzeitig ausgeschieden war (darunter Horst Köhler, der Bundespräsident wurde), könnten die Europäer den Zugriff auf den Prestige-Posten verlieren.

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