Die Türkei in der Corona-Krise Ankara meldet weniger als 80 Tote pro Tag

Istanbul · Gute Nachrichten vom Bosporus: Ausgangssperre für über 65-Jährige könnte bald aufgehoben werden. Die täglichen Todesfälle sind auf unter 80 gesunken.

 An vorderster Front: Gesundheitsminister Fahrettin Koca (vorn) inmitten von Ärzten und Pflegern bei der Eröffnung eines Krankenhauses.

An vorderster Front: Gesundheitsminister Fahrettin Koca (vorn) inmitten von Ärzten und Pflegern bei der Eröffnung eines Krankenhauses.

Foto: dpa/XinHua

Vor wenigen Monaten war er ein weitgehend unbekannter Politiker aus der zweiten Reihe der Regierung, heute ist er ein Star: Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca ist einer neuen Umfrage zufolge inzwischen beliebter als Präsident Recep Tayyip Erdogan. Koca, ein 55-jähriger Arzt und Inhaber einer privaten Krankenhauskette, ist das Gesicht des Kampfes gegen das Coronavirus im Land. Jeden Tag gibt der Minister die neuesten Zahlen zum Pandemie-Verlauf bekannt – und kann derzeit gute Nachrichten verkünden. Die Türkei hat bei vergleichbarer Bevölkerungsgröße nur halb so viele Todesopfer zu beklagen wie Deutschland, nämlich 3300. Die Zahl der täglichen Todesfälle ist unter 80 gesunken.

Am Anfang der Pandemie-Krise zu spät reagiert

Dabei lief in der Türkei anfangs viel schief. Rund 20.000 Mekka-Pilger konnten nach ihrem Heimflug aus Saudi-Arabien ohne Corona-Tests und ohne Quarantäne in ihre Heimatorte zurückkehren, wo sie das Virus an Verwandte, Freunde und Gläubige in den damals noch offenen Moscheen weitergaben. Die viel zu späte Bekanntgabe der ersten Ausgangssperre in Istanbul und anderen großen Städten vor drei Wochen löste Panikkäufe von Verbrauchern aus, die sich in Geschäften und Supermärkten drängten.

Inzwischen hat sich das Bild gebessert. Um die Zahlen der Regierung gibt es zwar die auch in anderen Ländern üblichen Diskussionen, was die Zählweise angeht: Sollen Todesfälle in die Covid-Statistik aufgenommen werden, bei denen die Infektion zwar vermutet, aber nicht durch einen Test nachgewiesen wurde? An der Gesamtzahl der Todesfälle gibt es aber nicht viel zu rütteln, dafür sorgen eine effiziente Bürokratie und die Tatsache, dass die meisten Großstädte von der Opposition regiert werden: Weil die Sterberegister von den Kommunen geführt werden, sind die Regierungszahlen zumindest indirekt überprüfbar.

So starben laut Gesundheitsministerium im April landesweit 2960 Menschen an Covid-19, davon knapp zwei Drittel in Istanbul. Nach Zählung des Friedhofsamtes von Istanbul starben in der Metropole im selben Monat 2950 mehr Menschen als im April des Vorjahres. Für ein verheimlichtes Massensterben, von dem in den sozialen Medien immer wieder mal geraunt wird, gibt es demzufolge also keinen Spielraum.

Kein Anlass zur Manipulation

Zu Manipulationen hat Ankara auch keinen Anlass: Das türkische Gesundheitswesen wird mit der Pandemie bisher gut fertig. Dafür sprechen nicht nur die Angaben der Regierung selbst, wonach derzeit nur 30 Prozent aller Krankenhausbetten und 60 Prozent aller Betten auf den Intensivstationen belegt sind – die Türkei hatte schon vor Beginn der Krise mehr Intensivbetten pro Kopf als viele europäische Staaten und hat sie seit Ausbruch der Pandemie weiter aufgestockt.

Auch Covid-Patienten und ihre Angehörigen loben die Pflege in den Krankenhäusern, wie anekdotische Berichte aus dem Bekanntenkreis der Korrespondentin nahelegen – darunter von einer 93-Jährigen, die als geheilt entlassen wurde. Von Panik oder Überforderung könne in den türkischen Kliniken nicht die Rede sein, berichten auch Schwestern und Pfleger.

Minister Koca führt die Erfolge unter anderem auf eine systematische Aufklärung von Infektionsketten zurück. Fast 6000 Expertenteams im ganzen Land überprüfen regelmäßig die Kontaktpersonen von Corona-Patienten. Fast eine halbe Million Menschen sind dadurch bisher erfasst worden. Für unter 20- und über 65-Jährige gilt seit Wochen eine absolute Ausgangssperre. Der Rest der Bevölkerung muss nur an Wochenenden und an Feiertagen zu Hause bleiben – damit will die Regierung den Schaden für die Wirtschaft begrenzen.

Wegen der positiven Entwicklung könnte das Ausgehverbot für die Senioren nach den Worten von Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin nun bald enden. Auch hob Ankara die Ausfuhrsperre für medizinisches Material auf und beliefert andere Länder bis hin zu den USA mit Hilfsgütern.

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