Kommentar zum FPÖ-Skandal in Österreich Das fast gekaufte Land

Meinung | Bonn · Genug ist genug. Das findet endlich auch Sebastian Kurz. Dessen politischer Instinkt funktioniert also weiter einwandfrei: Der Schatten dieses Politskandals soll ihn nicht erreichen, kommentiert GA-Redakteur Holger Möhle. Dabei hätte der österreichische Bundeskanzler besser wissen müssen, welchen Partner er sich angelacht hat.

Genug ist genug. Das findet endlich auch Sebastian Kurz, Bundeskanzler der Republik Österreich, Vorsitzender der Österreichischen Volkspartei ÖVP und überhaupt Shootingstar unter den Konservativen in Europa. Kurz hat nach einem unglaublichen Skandal-Video mit dem gefallenen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in der Hauptrolle die Koalition mit den rechtspopulistischen Freiheitlichen beendet und Neuwahlen ansetzen lassen.

Kurz' politischer Instinkt funktioniert also weiter einwandfrei, überhaupt kein Kurzschluss: Der Schatten dieses Politskandals soll ihn nicht erreichen. Er wendet, setzt auf seine hohe Beliebtheit in der Alpenrepublik und hofft auf neue, eigene Mehrheiten. Kurz versucht mit seiner Entscheidung, die Koalition mit der FPÖ jetzt zu beenden, möglichst schnell Distanz zwischen sich und dem Problem zu schaffen.

Dabei hätte der österreichische Bundeskanzler schon vor eineinhalb Jahren besser wissen können, ja, besser wissen müssen, welchen Partner er sich im Dezember 2017 mit der rechtspopulistischen FPÖ für seine schwarz-blaue Koalition angelacht hat. Die Liste der rechtsextremen Ausfälle und Verfehlungen von FPÖ-Politikern, die sie sich gern einer Nazi-Rhetorik bedienten, ist lang. Kurz hat sie alle durchgehen lassen.

Beinahe wäre Österreich zur gekauften Republik verkommen, hätte nicht ein heimlich aufgenommenes Video, das pünktlich zu einem Treffen von Zehntausenden europäischen Rechtspopulisten am Wochenende in Mailand an die Öffentlichkeit kam, zumindest diesen Spuk der FPÖ beendet. Gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Felde ziehen, aber selbst die Boulevardpostille „Kronen-Zeitung“ zum heimlichen Partei- und Propaganda-Organ umfunktionieren zu wollen, das ist Medienpolitik nach Lesart der FPÖ. Es hat zum Glück nicht funktioniert.

Selten war das freie, das demokratische, das rechtsstaatliche Europa derart unter Druck wie in diesen Zeiten. Populisten von Rechts und Links, denen der Nationalstaat sehr viel näher als Solidarität in und mit der Europäischen Union ist, sind auf dem Vormarsch. In Österreich haben sie jetzt erst einmal eine Bruchlandung hingelegt. Das Vertrauen ist zerstört, eine Nachfolge-Regierung muss mühsam wieder neues aufbauen. Kurz gibt den Saubermann, dabei weiß er selbst am besten, dass er die FPÖ um ihren gestürzten Vize-Kanzler Strache mit salonfähig gemacht hat. Das Experiment dieser rechts-konservativen Regierung in Wien ist krachend gescheitert. Es sollte möglichen Nachahmern in anderen Ländern, die mit der Idee spielen, sich mit rechten (und linken) Populisten einzulassen, eine Warnung sein. Die schein-bürgerliche Fassade bröckelt dann meist recht schnell. Kurz hat die Kurve gerade noch bekommen, aber den Schaden mit angerichtet. Österreich braucht Mut zur Selbstkritik – und einen echten Neustart.

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