Hafenstadt Pozzallo Das neue Lampedusa

Rom · Bald beginnt die Hochsaison in Pozzallo, diesem gemütlichen kleinen Flecken im Süden Siziliens. Die Cafés haben längst Stühle und Tische auf die Straße gestellt. Dabei wird die sizilianische Hafenstadt verstärkt Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Afrika.

Gerettet: Diese Mutter und ihr Kind kamen am vergangenen Samstag in Palermo auf Sizilien an, nachdem die italienische Marine ihr Boot auf dem Mittelmeer aufgespürt hatte.

Gerettet: Diese Mutter und ihr Kind kamen am vergangenen Samstag in Palermo auf Sizilien an, nachdem die italienische Marine ihr Boot auf dem Mittelmeer aufgespürt hatte.

Foto: dpa

Überall werden Eis und Granita, die sizilianische Spezialität aus Halbgefrorenem mit Sirup, verkauft. Auch die Liegestühle am Strand stehen für den großen Ansturm bereit. Doch dieses Jahr wird er wohl von ganz anderer Art sein. "Viele Gäste haben bereits ihren Urlaub bei uns storniert", berichtet Bürgermeister Luigi Ammatuna. Der Grund: Der Name der Kleinstadt in der Provinz Ragusa kommt nun immer häufiger als Synonym für ein Problem in den Nachrichten vor. Am Hafen von Pozzallo landen inzwischen die meisten Flüchtlinge, die Italien über das Mittelmeer erreichen.

"Das neue Lampedusa" - diesen Beinamen trägt Pozzallo nun wie einen Stempel, der nur schwer wieder abzuwaschen sein wird. Die Mittelmeerinsel Lampedusa war einst Synonym für Massenankünfte von Bootsflüchtlingen, die Inselbevölkerung hoffnungslos überfordert, das inzwischen geschlossene Auffanglager meist überfüllt. Bei der Europawahl stimmten auf Lampedusa, am südlichsten Flecken Siziliens, 17 Prozent für die fremdenfeindliche Lega Nord, die ihr Stammgebiet eigentlich zwischen Mailand und Venedig hat.

Lange Zeit blieben die Touristen aus, die für Lampedusa die wichtigste Einnahmequelle bilden. Sieht so auch die Zukunft des sizilianischen Hafenstädtchens Pozzallo mit seinen 19 000 Einwohnern aus? "Ich habe vom Staat zehn Euro Ausfallgebühren pro Migrant gefordert, der hier ankommt. Aber ich wurde nicht erhört", sagt Bürgermeister Ammatuna. Auch wenn sich Innenminister Angelino Alfano für kommenden Montag in Pozzallo angekündigt hat, will der Bürgermeister nun persönlich in Rom vorsprechen.

[kein Linktext vorhanden]Tausende Schiffsflüchtlinge betreten in Pozzallo erstmals italienischen Boden. Hier und im Hafen von Augusta liefern die fünf Schiffe der italienischen Marine die Menschen ab, die sie auf wackeligen Kähnen weit im Meer, manchmal nahe an der libyschen Küste aufgesammelt haben. Insgesamt kamen seit 1. Januar 53 000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien, mehr als im Jahr 2013. Beinahe 5000 Menschen waren es allein in den vergangenen Tagen. Zuletzt landeten 209 Flüchtlinge am Dienstagnachmittag in Pozzallo.

Dabei hat das Auffanglager von Pozzallo, das in einer unscheinbaren Halle am Rand des Hafens liegt, gerade einmal Platz für ein paar Hundert Menschen. In diesen Tagen ist es überfüllt. Polizei und Carabinieri, die die Flüchtlinge von den Schiffen in Bussen begleiten, sind mit der Verteilung der Flüchtlinge überfordert. Erst nach Tagen gelingt es den Behörden, die Menschen in die über das gesamte italienische Staatsgebiet verstreuten provisorischen Lager aufzuteilen. In den 134 Flüchtlingsunterkünften auf Sizilien waren bis vor Kurzem knapp 13 000 Menschen untergebracht. Die Behörden in Sizilien fühlen sich mit der Situation überfordert, auch die Bürgermeister von Palermo und Catania protestierten, man fühle sich von Rom und der EU im Stich gelassen. "Die Lage ist außer Kontrolle", sagte der Bürgermeister der Hafenstadt Porto Empedocle. Die Bevölkerung von Pozzallo gibt sich bislang genügsam: "Wir sind nun die erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge auf Sizilien. Aber die Migranten sind nicht das Problem, eher hakt es an der Verwaltung hier in der Stadt", sagt Enrico Caruso, der das Bed and Breakfast "Mare Nostrum" in Pozzallo führt. Die Flüchtlinge würden rasch in andere Auffanglager verteilt, im Ortszentrum bekomme man wenig von ihnen mit.

Unterdessen gibt es im Meer vor Pozzallo immer wieder Tote. Erst vor Tagen kam es zu einem tragischen Unfall, als die Besatzung eines Tankers über 100 Menschen aus einem Schlauchboot aus dem Meer rettete. Als ein Flüchtling die Leiter zum Tanker hochklettern wollte, verlor er den Halt, stürzte und schlitzte das Schlauchboot auf. Das Boot kenterte. Viele der Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Syrien, Eritrea, dem Sudan und Somalia, können nicht schwimmen. Drei von ihnen ertranken, sechs weitere werden immer noch vermisst. Manche kommen mit Verbrennungen an, von der Sonne oder den überhitzten Motoren der Schlauchboote. Diejenigen, die die Überfahrt überleben, haben keine guten Nachrichten: "An der libyschen Küste warten Tausende auf die Überfahrt", zitiert die Polizei einen Flüchtling.

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