Interview mit Michael Collins Das sagt Irlands Botschafter in Deutschland zum Brexit

In wenigen Tagen endet die im August 2013 begonnene Amtszeit von Michael Collins als irischer Botschaft in Deutschland. Die Bundesrepublik ist die letzte Station des 65-Jährigen vor seiner Pensionierung. Hier spricht er über den Brexit, die Auswirkungen auf Irland und die Rolle Deutschlands.

 Überzeugter Europäer: Michael Collins.

Überzeugter Europäer: Michael Collins.

Foto: Barbara Frommann

Herr Botschafter, es ist drei Jahre her, dass die Briten für den Brexit stimmten. Was haben Sie damals empfunden, als Sie von Ausgang des Referendums hörten?

Michael Collins: Ich war sehr enttäuscht, sehr besorgt und sehr aufgeregt, weil mir sofort klar war, dass das ein großes Problem für Irland sein wird.

Denken Sie, dass die meisten Politiker und Entscheider das damals auch wussten?

Collins: Die irische Frage wurde im Referendum nicht so behandelt, wie es hätte sein sollen. Wir wussten, dass der Brexit ein großes Problem für Irland sein würde, aber leider wurde das in Großbritannien kaum berücksichtigt. Einige irische Politiker waren damals in Großbritannien, um das zu erklären. Sie sprachen, so laut sie konnten.

Und das Problem ist noch immer nicht gelöst.

Collins: Wir haben eine Lösung. Es handelt sich um das Austrittsabkommen, das den sogenannten Backstop beinhaltet. Die EU hat das Abkommen im vergangenen November mit der britischen Regierung ausgehandelt und beschlossen. Das Problem ist offenbar, dass es bislang nicht möglich war, eine Zustimmung durch das britische Parlament zu erhalten. Der Backstop ist die wesentliche Garantie dafür, dass es keine Grenzezwischen Irland und Nordirland geben wird. Ich weiß nicht, was die Zukunft in den nächsten Wochen bringt, aber das Austrittsabkommen existiert noch und wird nicht geändert.

Wie groß ist die Angst in Irland, dass der Brexit den Nordirlandkonflikt wieder hochkochen könnte?

Collins: Alles, was wir tun und sagen, dient dazu, unbedingt sicherzustellen, dass der Nordirlandkonflikt nicht wieder aufkommt. Das wäre ein Desaster. Der Brexit bedroht das Karfreitagsabkommen von 1998. Dieses Abkommen ist eine Friedensarchitektur. Darum ist auch der Backstop so wichtig. Er ermöglicht uns, sicherzustellen, dass keine alten, mit der Grenze verbundenen Schwierigkeiten zurückkehren.

Gibt es Stimmen in Irland, die sagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, die eine Vereinigung mit Nordirland zu forcieren?

Collins: Die irische Regierung hat deutlich gemacht, dass sie nicht der Ansicht ist, dass der Brexit das richtige Umfeld ist, um die Frage nach einem vereinigten Irland zu stellen. Die Priorität der irischen Regierung liegt darauf, das Karfreitagsabkommen zu schützen, welches natürlich die Möglichkeit eines vereinigten Irlands nach einer Zustimmung [durch die Menschen in Nordirland Anm. d. Red.] einräumt. Derzeit finden Gespräche statt, um die Machtteilung in Nordirland wiederherzustellen, die seit mehr als zwei Jahren nicht mehr funktioniert. Es ist von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass das Karfreitagsabkommen voll funktionsfähig ist.

Ist es für die irische Regierung nicht manchmal ärgerlich, dass sie nicht direkt mit Großbritannien in Sachen Brexit verhandeln kann, weil das in die Zuständigkeit der EU fällt?

Collins: Wir sprechen die ganze Zeit mit dem Vereinigten Königreich. Wir haben zum Beispiel ausführliche Diskussionen darüber geführt, wie wir das [seit 1923 in unterschiedlichen Formen bestehende Anm. d. Red.] gemeinsame Reisegebiet zwischen Großbritannien und Irland schützen. Wir verhandeln aber nicht über den Brexit. Dies ist die Aufgabe der EU und ihres Verhandlungsführers Michel Barnier. Die EU hat bei den Brexit-Verhandlungen einen fantastischen Job gemacht, um die Interessen der EU und Irlands zu schützen.

Man könnte sagen, dass der Brexit in gewisser Hinsicht gut für Irland ist, weil seine Stimme in Europa interessanter und wichtiger wurde.

Collins: Wir haben nicht um den Brexit gebeten, aber es hat Irland zu einem zentralen Thema in den Diskussionen gemacht. Ich denke, unsere europäischen Partner erkennen, wie wichtig die irische Frage ist. Jeder kennt die Geschichte Irlands jetzt besser. Wenn wir über die irisch-nordirische Grenze sprechen, gibt es besonders in Deutschland eine besondere Wertschätzung für unsere Sorgen.

Vielleicht ist der Brexit auch gut für Irland, da es sich um ein englischsprachiges Land in der EU handelt und daher mehr weltweit agierende Unternehmen daran interessiert sind, sich dort anzusiedeln.

Collins: Leider ist der Brexit schlecht – egal, wie man ihn betrachtet. Aber natürlich wollen viele amerikanische Unternehmen wegen Europa in Irland investieren – und sie sind sehr willkommen. Wir haben in vielerlei Hinsicht von der EU profitiert, wirtschaftlich, kulturell und sozial. Deshalb ist der Brexit für uns so schwer zu verstehen. Niemand in Irland sagt, dass man es Großbritannien gleichtun sollte. Wir glauben an Europa. Wir sind stolze Mitglieder der EU, und wir sind aus vielen guten Gründen in der EU, wirtschaftliche Gründe eingeschlossen.

Es gibt also keine populistischen Anti-EU-Strömungen in der Irland?

Collins: Wir haben keine rechtspopulistische Partei in Irland. Alle bei den Europawahlen gewählten Kandidaten unterstützen die Mitgliedschaft Irlands in der EU. Natürlich ist Europa ein komplizierter Ort, aber es ist das einzige und beste Instrument, um unsere vielen gemeinsamen Herausforderungen anzugehen.

Wie sehen Sie die Rolle der Bundesregierung in der Brexit-Debatte?

Collins: Die deutsche Unterstützung war fantastisch und wir sind sehr dankbar dafür. Ich erinnere mich, dass unser Premierminister kurz nach dem Brexit-Referendum nach Deutschland gekommen war, um mit der Kanzlerin zu sprechen. Die Solidarität, die die EU insgesamt und insbesondere gegenüber Irland gezeigt hat, ist wirklich beeindruckend und stark. Ich denke, dass dies für die Briten eine kleine Überraschung war.

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