Gerangel um die Bildung Das steckt hinter dem Ausstieg aus dem Nationalen Bildungsrat

Bayern und Baden-Württemberg verlassen den Nationalen Bildungsrat, der bundesweit mehr Vergleichbarkeit und Transparenz in der Bildung herstellen sollte. Was steckt hinter dem Schritt der Süd-Länder und was folgt daraus?

 Schüler kurz vor Beginn der Abiturprüfung: Der Rat sollte Bund und Länder an einen Tisch bringen, um den gesamten Bildungsweg zu optimieren.

Schüler kurz vor Beginn der Abiturprüfung: Der Rat sollte Bund und Länder an einen Tisch bringen, um den gesamten Bildungsweg zu optimieren.

Foto: picture alliance/dpa/Felix Kästle

Die Absage von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an den Nationalen Bildungsrat hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Das politische Berlin und die Kultusministerien der Länder sind seit Sonntag in Aufruhr, Baden-Württemberg hat sich ebenfalls aus dem nationalen Projekt verabschiedet. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) lud am Montag eilig Journalisten zum Gespräch. Immerhin war das Gremium von Bund und Ländern beschlossen worden, es sollte jahrzehntelange Streitigkeiten und Probleme in der deutschen Bildungspolitik lösen. Und jetzt? Alles vorbei? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist der Bildungsrat und welche Ziele hat das Gremium?

Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag verständigt, einen Nationalen Bildungsrat zu schaffen. Dem Gremium sollten neben Bildungsexperten auch Vertreter der Zivilgesellschaft, der Länder und dem Bund angehören. Es sollte Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen – Entscheidungen sollte es nicht fällen dürfen. Der Rat sollte Bund und Länder an einen Tisch bringen, um den gesamten Bildungsweg von der Kita bis zur Berufsschule oder Universität zu optimieren. Gestartet war das Gremium noch nicht.

Warum ist der Rat aus Sicht der Bundesregierung notwendig?

Die Idee für einen Rat entstand vor dem Hintergrund, dass die Länder für die Bildung in Deutschland zuständig sind. In diesem föderalen System sind die Unterschiede zwischen den Ländern aber teils gewaltig – das betrifft beispielsweise das Leistungsniveau der Schüler, das Ganztagsangebot, die Chancengleichheit und die Möglichkeiten der Anerkennung unterschiedlicher Abschlüsse. Seit Jahren geht es in der Bildungspolitik etwa um die Frage, wie ein Umzug von Familien mit Schulkindern von einem Bundesland in ein anderes erleichtert werden kann. Um mehr Vergleichbarkeit, Transparenz und einheitlich hohe Bildungsstandards zu schaffen, sollte der Rat entsprechende Maßnahmen entwickeln. Der Druck stieg in diesem Jahr noch einmal, als Deutschland im aktuellen Bildungsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nur einen Platz im Mittelfeld erreichte. Andere Studien wie die Bildungstrends des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bescheinigten den Ländern teils drastische Unterschiede beim Wissensstand der Schüler.

Warum sind Bayern und Baden-Württemberg ausgestiegen?

Ministerpräsident Söder begründete den Schritt damit, dass er nicht an „die Zukunft dieser Idee“ glaube. „Es war ein nett gemeinter Versuch, das mal zu probieren.“ Aber er sehe einen Widerspruch zu der föderalen Bildungsverfassung Deutschlands. Den Rat nannte er „Bürokratiemonster“. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) leistete Schützenhilfe: „Auch ich halte den Nationalen Bildungsrat für ein komplett überflüssiges Gremium, auf das man folgerichtig verzichten kann.“ Intern gab es zudem Streit um die Stimmverteilung.

Auf welche Reaktionen stießen die beiden Länder?

Bundesministerin Karliczek wies die Kritik zurück. Der Nationale Bildungsrat sei keine Erfindung des Bundes, sagte sie. Die Länderpolitiker, „namentlich die CSU“, hätten sehr aktiv am Koalitionsvertrag mitgewirkt. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte, es handele sich hier um ein „Taktieren auf dem Rücken der Qualität des Bildungswesens“. Auch Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) war sauer: „Dank der Süd-Länder haben wir nun anderthalb verlorene Jahre für unsere Schulen“, kritisierte er.

Ist der Bildungsrat damit politisch tot?

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gibt eine klare Antwort: „Der Nationale Bildungsrat ist gescheitert . Jetzt muss man sich etwas Neues einfallen lassen“ (siehe Bericht unten). Auch aus anderen Ländern gab es ähnliche Stimmen.

Welche Alternativen gibt es zum Bildungsrat?

Eisenmann pochte auf einen Staatsvertrag, um Standards für Schulabschlüsse oder die Lehrerbildung in allen Ländern einheitlich und verbindlich zu regeln. Im Gespräch ist zudem ein wissenschaftlicher Beirat bei der Kultusministerkonferenz (KMK), der Empfehlungen abgeben könnte. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) ist dafür, er ist derzeit KMK-Präsident. Unterstützung bekam die Idee auch vom Chef des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Es brauche aber mehr Transparenz und mehr Vergleichbarkeit zwischen den Ländern, sagte er. Marlis Tepe, Chefin der Erziehungsgewerkschaft GEW, äußerte sich skeptisch. Die KMK blockiere sich teils selbst. „Ich habe Zweifel, ob ein wissenschaftlicher Beirat bei der KMK die notwendige Weiterentwicklung stemmen kann.“

Wie geht es jetzt weiter?

Bundesbildungsministerin Karliczek sieht die Länder in der Verantwortung zu klären, wie sie weiter vorgehen wollen. „Am Ende geht es nicht darum, zu sagen, der Nationale Bildungsrat ist das Heiligtum“, sagte sie. Die KMK will kommende Woche zum Thema beraten, dann wird es auch die Ergebnisse der neuen PISA-Studie geben.

Was bedeutet das Gerangel für den Bildungsstandort Deutschland?

Bildungsexperten warnen seit Jahren davor, dass Deutschland durch extreme Bildungsunterschiede zwischen den Ländern im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen geraten kann. Andere Nationen werden etwa bei der Integration zugewanderter Schüler oder der Nutzung der Digitalisierung immer schneller und immer besser. Ohne angeglichene Bildungsstandards auf hohem Niveau könnte auch das international gelobte System der dualen Ausbildung in Schieflage geraten – mit handfesten wirtschaftlichen Nachteilen.

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