Kommentar zum türkischen Wahlkampfverzicht Denkpause

Meinung | Bonn · Die Gründe für die Entscheidung, die Wahlkampfaktivitäten in Deutschland einzustellen, sind nicht bekannt. Vernünftig ist die Entscheidung jedoch in jedem Fall. Sie hilft der Türkei, vielleicht einen letzten Rest an Wohlwollen bei ihren europäischen Verbündeten zu erhalten.

 Jubel für Erdogan im hessischen Kelsterbach: Anhängerinnen des Staatspräsidenten schwenken Fahnen bei einer Wahl-Veranstaltung des türkischen AKP-Abgeordneten Taner Yildiz.

Jubel für Erdogan im hessischen Kelsterbach: Anhängerinnen des Staatspräsidenten schwenken Fahnen bei einer Wahl-Veranstaltung des türkischen AKP-Abgeordneten Taner Yildiz.

Foto: dpa

Hat die türkische Regierung jetzt endlich Vernunft angenommen? Wir wissen es leider nicht. Die Gründe für die Entscheidung, die Wahlkampfaktivitäten in Deutschland einzustellen, sind nicht bekannt. Vernünftig ist die Entscheidung jedoch in jedem Fall. Sie hilft der Türkei, vielleicht einen letzten Rest an Wohlwollen bei ihren europäischen Verbündeten zu erhalten. Ankara behält die Möglichkeit, mit den Europäern in Kontakt zu bleiben. Sie nimmt Druck von der türkischen Gemeinde in Deutschland, deren Mitglieder nicht mehr gezwungen sind, sich so oder so zu bekennen oder lieber ganz den Mund zu halten. Ob solche Argumente ausschlaggebend waren, darf man indes weiter bezweifeln. Wer sein Wahlvolk ohne Rücksicht auf längerfristige politische Folgen mobilisiert, ist sich entweder seiner Sache sehr sicher, oder ziemlich verzweifelt. Rational und richtig ist Erdogans Politik nur in seiner ganz eigenen Logik. Darüber hinaus ist sein Auftreten ein Desaster für die Türkei und die Türken hier in Deutschland. Es wird Jahre brauchen, das einst so erfolgreiche Land zu alter Stärke zurückzuführen. Partner dafür werden sich nur schwer finden lassen. Vertrauen ist rasch zerstört und nur mühsam wieder aufzubauen.

Waren es die mehr als deutlichen Hinweise der Bundesregierung, die Erdogan zum Einlenken bewogen haben? Auch das ist unklar. Immerhin können sich Merkel und Gabriel zugutehalten, nicht in die aufgenötigte Eskalation eingestiegen zu sein. Erdogan hat mit mehr Aufruhr kalkuliert, um sich und seine Landsleute als Opfer stilisieren zu können. Diesen Weg hat ihm die Bundesregierung abgeschnitten.

Es wird auch in Deutschland inzwischen gerne laut nachgedacht, ob solche Attacken nicht eine Frage der Ehre wären. Das würde als Rechtfertigung für harte Gegenmaßnahmen dienen. Solche Debatten sind gefährlicher Unsinn, weil sie politische Fragen zum Spielball von Emotionen machen. Das ist im Übrigen Erdogans Strategie. In den glücklicherweise vergangenen Zeiten des Nationalismus zogen Heere in den Krieg, um die Ehre eines Landes zu verteidigen. Solche Denkhaltungen haben uns die großen Kriege des 20. Jahrhunderts gebracht. Die Politik der Bundesregierung gegenüber Erdogan mag man daher als ausweichend und leisetreterisch empfinden. Sie ist am Ende richtig, weil sie sich dem Spiel des Gegners verweigert und ihn zwingt, entweder weiter zu eskalieren oder eben aufzuhören. Rationale Entscheidungen bleiben immer möglich.

Bis zur Abstimmung in der Türkei ist noch Zeit. Ob es jetzt Ruhe gibt, ist ebenfalls unklar. Wenn dieses Moratorium den Beteiligten Zeit zum Nachdenken verschafft, ist vielleicht schon etwas gewonnen. Es gibt auch unter den Türken eine Vielzahl sehr vernünftiger Menschen. Sie bekommen jetzt hoffentlich die Chance, ihre Sache in die Hand zu nehmen.

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