Kommentar Der Ärger um die Autorisierung von Interviews - Beispiel aus der Praxis

BONN · Wahlkampfzeit ist Interviewzeit: Kurz vor einem Urnengang drängt es die Parteipolitiker traditionell in die regionalen Tageszeitungen, um Werbung für sich zu machen.

Und die Zeitungen wiederum nutzen das Interview gerne verstärkt als Stilform, um den Politikern auf den Zahn zu fühlen; die Leser sollen sich ein klares Bild von jenen machen können, die uns regieren (wollen). Es könnte eine gute Sache für alle sein - wenn die Parteien nicht immer wieder versuchen würden, die übliche Autorisierungsvereinbarung besonders großzügig zu ihren Gunsten auszulegen.

Denn veröffentlicht werden darf ein Interview in Deutschland in der Regel nur dann, wenn der Interviewte der schriftlichen Fassung vor dem Abdruck zustimmt. Das steht zwar in keinem Gesetz, ist aber seit Jahren branchenüblich, nachdem die "Spiegel"-Redaktion dieses Verfahren eingeführt hatte. Inzwischen sinkt die sonst gute Laune in vielen Redaktionen wegen der sich häufenden Missbrauchsversuche kurz vor der Bundestagswahl beträchtlich.

Gar nicht erfreut war etwa der Nachrichtenchef der "Wetzlarer Neuen Zeitung" (WNZ), Michael Klein, nach einem Redaktionsbesuch von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast in der mittelhessischen Stadt. Nach einem als munter beschriebenen Gespräch schickte die Redaktion eine ebenso muntere Interviewfassung zur Autorisierung an die Pressestelle der Fraktion - und erhielt eine, so Klein, "glattgebügelte Version" zurück.

"Da standen plötzlich Sätze drin, die Frau Künast so nie gesagt hatte", schildert der Redaktionsleiter im Gespräch mit unserer Zeitung seinen Ärger. Klein und seine Kollegen zogen jene Notbremse, zu der sich Zeitungen immer häufiger genötigt sehen: Sie verzichteten auf den Abdruck des Interviews und klärten ihre Leser kurz über den Vorgang auf. Die "Bild"-Zeitung bekam Wind von der Sache und erklärte Künast auf ihrer Titelseite kurz und knapp zur "Verliererin des Tages".

Bei den Grünen sieht man sich indes ungerecht behandelt. Das Interview der WNZ habe "eine ganze Reihe von unzutreffenden Behauptungen und Unterstellungen der Fragesteller" enthalten, teilte die Pressestelle der Fraktion am Sonntag auf Anfrage mit. Es sei legitim gewesen, diese Fehler zu korrigieren. In einer Frage zur Verkehrspolitik etwa habe die WNZ behauptet, die Grünen wollten die Pendlerpauschale abschaffen. Fakt sei aber, dass dies nicht im Wahlprogramm der Grünen stehe. Das habe man in der autorisierten Interviewfassung klarstellen müssen.

Nachrichtenchef Klein will das nicht gelten lassen. Renate Künast habe im Interview Argumente für die Abschaffung der Pendlerpauschale aufgezählt. "Hätte sie im Interview gesagt, dass die Pendlerpauschale im Wahlprogramm kein Thema ist, hätte ich ihr vorgehalten, dass die Grünen die Abschaffung der Pauschale in einem geltenden Parteitagsbeschluss als wünschenswert bezeichnet hatten", so Klein. "Durch die nachträgliche Korrektur wurde mir diese Möglichkeit aber genommen."

Dabei sieht Klein durchaus auch die Vorteile der Autorisierungspraxis. "Anders als bei einem Live-Gespräch fühlt sich der Interviewte freier und sicherer, weil er ja vor Abdruck noch einmal einen Blick auf das Interview werfen kann." Außerdem könnten die Zeitungen lange Antworten straffen und sprechsprachliche Defizite ausgleichen. "Aber", so Klein, "ein Interview ist keine Pressemitteilung. Der Kern dessen, was gesagt wurde, muss erhalten bleiben."

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