Interview mit Klaus Zimmermann Der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit über Rente und Arbeitsmarkt

BONN · Die Rente gehört zu den ersten Projekten der großen Koalition. Schon heute gibt es den Auftakt: SPD und Union bringen ein Gesetz in den Bundestag ein, mit dem verhindert wird, dass zum Jahreswechsel der Beitragssatz als Folge der hohen Überschüsse in der Rentenkasse sinkt.

Denn die Koalition will mit den Milliardenreserven der Rentenversicherung die geplanten Verbesserungen für ältere Mütter sowie die abschlagsfreie Rente mit 63 für Arbeitnehmer mit 45 Versicherungsjahren finanzieren. Klaus Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA)

Was halten Sie von den Rentenplänen der großen Koalition?
Klaus Zimmermann: In der Politik wird zu viel auf kurze Sicht gemacht. Ökonomische Gesetzmäßigkeiten lassen sich damit nicht außer Kraft setzen: Mittelfristig wird es deutlich an Geld im Rentensystem fehlen. Immer weniger junge Menschen müssen steigende Lasten der Rentenbeiträge tragen. Deswegen sind die Pläne ein großer Schritt rückwärts.

Wieso rückwärts?
Zimmermann: Das Signal, das von den Koalitionsplänen ausgeht, ist völlig falsch. Was Politiker früher mit Mühe reformiert haben, wird jetzt wieder aufgeweicht. Die harten Entscheidungen, die notwendig sind, um das Rentensystem für die Zukunft zu rüsten, werden vertagt.

Wer leidet unter den aktuellen Plänen?
Zimmermann: Arbeitnehmer und Unternehmer bekommen die vorgesehene Entlastung bei den Rentenversicherungsbeiträgen nicht. Das mindert natürlich die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften und die Kaufkraft der Verbraucher.

Wie steht es um das Vertrauen in das Rentensystem?
Zimmermann: Da es uns im Moment so gut geht, denken viele Menschen, dass das Rentensystem so bleiben kann, wie es ist. Das betrifft genauso das Gesundheits- und das Pflegesystem, wo die Probleme der demografischen Entwicklung ja auch noch nicht gelöst sind: Auch dort müssen in Zukunft weniger junge Menschen die Leistungen für viele Ältere aufbringen. Die derzeitige günstige Situation am Arbeitsmarkt überlagert viele Strukturprobleme. Die Bürger wiegen sich in falscher Sicherheit.

Wäre es besser, die zusätzlichen Leistungen aus Steuermitteln zu finanzieren?
Zimmermann: Ich habe Steuererhöhungen nie ausgeschlossen, wenn sie langfristigen Zielen und strukturellen Verbesserungen dienen. Es sollte um Aufgaben wie Bildung und Infrastruktur gehen. Steuererhöhungen würden allerdings eine Wahlaussage der Union brechen. Aber wir haben in den letzten Jahren aus Ereignissen wie der deutschen Einheit gelernt, dass alles seinen Preis hat. Fast alles ist machbar, wenn man bereit ist, den Preis dafür zu zahlen. Derzeit ist noch nicht klar, wo die vielen Milliarden, die die zusätzlichen Leistungen kosten werden, überhaupt herkommen sollen.

Ist die verbesserte Mütterrente für alle Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, grundsätzlich eine sinnvolle Leistung?
Zimmermann: Was für Einzelgruppen gut ist, kann nie für alle gerecht sein. Im Koalitionsvertrag sind sehr geschickt die Interessen verschiedener Einzelgruppen befriedigt worden. Jede Partei hat sich ihre Zielgruppe herausgesucht und ein, zwei Maßnahmen gefunden, die die Anhänger mit ihrer Politik versöhnen sollen. Ich hoffe, dass das der Einstieg in härtere Maßnahmen ist, über die man heute nicht redet. Es fällt auf, dass beim Thema Rente nichts Konkretes auf die Agenda gesetzt wurde.

Begünstigt die abschlagsfreie Rente mit 63 für die, die 45 Beitragsjahre haben, vor allem Männer?
Zimmermann: Natürlich, aber für einige Frauen wird ja die Mütterrente verbessert. Insofern wird jeder Wählergruppe etwas versprochen.

Ist es richtig, wenn Phasen der Arbeitslosigkeit bei der abschlagsfreien Rente ab 63 einberechnet werden?
Zimmermann: Ich halte die ganze Maßnahme für falsch. Die Arbeitslosenversicherung beinhaltet ja kein Ansparen an konkreten Rechten.

Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Rentenpläne auf den Arbeitsmarkt?
Zimmermann: Sie belasten den Arbeitsmarkt auf jeden Fall. Alle Vorschläge basieren auf einer brummenden Wirtschaft, wie wir sie derzeit haben. Aber das wird ja nicht vier Jahre so bleiben - und schon gar nicht länger. Die Arbeitskosten werden nicht wie geplant verringert. Wir sollten uns eher darauf konzentrieren, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu bringen, statt neue Arbeitslose zu produzieren.

Was müsste für Langzeitarbeitslose getan werden?
Zimmermann: Ein Großteil der derzeit 2,8 Millionen in der Statistik sind Langzeitarbeitslose. Wir lassen sie hängen, weil wir uns nicht systematisch um sie kümmern. Im Jobcenter muss die Vermittlung in Arbeit höchste Priorität bekommen. Wer einer Risikogruppe angehört, weil er beispielsweise keine Ausbildung hat, sollte eine besondere Betreuung bekommen.

Was würden Sie noch von einer klugen Arbeitsmarktpolitik erwarten?
Zimmermann: Mütter und Väter müssen in die Lage versetzt werden, beide Vollzeit erwerbstätig sein zu können. Im europaweiten Vergleich haben wir die größten Defizite bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Man muss mehr tun, als darüber zu reden.

Was halten Sie von den Mindestlohn-Plänen der Koalition?
Zimmermann: Man könnte denken, der Mindestlohn an sich sei harmlos, denn viele Länder haben ihn. Problematisch ist insbesondere die Höhe: Wenn er bei 8,50 Euro festgelegt wird, gibt es meines Wissens in der Europäischen Union nur in Frankreich einen höheren Mindestlohn. Und die Franzosen zeigen gerade mit ihrer hohen Jugendarbeitslosigkeit, dass es so nicht funktioniert. 8,50 Euro sind so hoch, dass es vielen Branchen wehtun wird. Die Verteilungswirkung des Mindestlohnes ist nicht groß. Die Welt wird nicht gerechter. Viele wohlhabende Haushalte haben einen künftigen Mindestlohn-Empfänger in ihren Reihen.

Rechnen Sie damit, dass viele Arbeitgeber vor Inkrafttreten des Mindestlohns angestellte Mitarbeiter zwingen werden, sich formal selbstständig zu machen, um so die Lohnuntergrenze zu umgehen?
Zimmermann: Das wird sicherlich passieren. Es ist vor allem aber auch sehr schwierig, die Einhaltung des Mindestlohnes zu überprüfen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, ihn zu umgehen, indem beispielsweise die Arbeitszeit nicht klar definiert und gemessen wird.

Was geben Sie der Koalition mit auf den Weg?
Zimmermann: Wichtig ist eine stärkere Integration der europäischen Arbeitsmärkte. Es sollte leichter werden, in anderen Ländern zu arbeiten. Theoretisch gibt es die Grundlagen dafür, aber in der Praxis funktioniert es nicht. So kommen etwa trotz hoher Arbeitslosigkeit kaum Spanier nach Deutschland, um zu arbeiten. Der Abbau von kulturellen Barrieren und Sprachhemmnissen wäre wichtig. Mehr Jugendaustausch gehört auf die Tagesordnung.

Zur Person

Klaus Zimmermann ist Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Bonn und Honorarprofessor der Freien Universität Berlin sowie der Chinesischen Volksuniversität. Der 61-Jährige ist seit 1998 Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Von 2000 bis 2011 war er gleichzeitig Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Der in Göppingen geborene Zimmermann studierte in Mannheim Volkswirtschaft und Statistik. Später war er Professor in Dortmund und München.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort