WCCB Der lange Schatten

Durch eine Stellungnahme der EU-Kommission steigen die Gesamtkosten Bonns für das Kongresszentrum wahrscheinlich noch einmal um 80 bis 100 Millionen Euro. Die Nachricht aus Brüssel trifft Bonn inmitten sehr angespannter Finanzen

Das Jahrzehntprojekt World Conference Center Bonn (WCCB) ist seit Monaten endlich fertiggestellt. Nur die Gesamtkosten für die Stadt Bonn liegen noch in dichtem Nebel.

Das Jahrzehntprojekt World Conference Center Bonn (WCCB) ist seit Monaten endlich fertiggestellt. Nur die Gesamtkosten für die Stadt Bonn liegen noch in dichtem Nebel.

Foto: Volker Lannert

Die Nachricht aus Brüssel trifft Bonn – je nach Perspektive – zur Unzeit oder gerade zum richtigen Zeitpunkt: Inmitten der städtischen Beratungen über weitere Ausgaben-Entscheidungen (siehe Lokales) in Millionenhöhe hat die EU-Kommission (der GA berichtete) eine Stellungnahme zum Bürgschaftsstreit zwischen der Sparkasse Köln-Bonn und der Stadt verfasst, wonach die bürgschaftsähnliche Nebenabrede der Stadt zugunsten der Sparkasse nicht gegen das EU-Beihilferecht verstößt. Das könnte im schlimmsten Fall bedeuten: Die sich ohnehin im Haushaltssicherungskonzept befindende Stadt Bonn muss weitere 100 Millionen Euro für das World Conference Center Bonn (WCCB) schultern, womit das Leuchtturmprojekt den Steuerzahler inklusive Zinsen eines Tages mehr als 300 Millionen Euro kosten würde.

Das Projekt ist wirtschaftlich gegenüber jenem, was der Stadtrat Ende 2005 beschlossen hatte, nicht mehr wiederzuerkennen. Denn damals sollte das WCCB, so der Ratsbeschluss, den städtischen Haushalt mit keinem Euro belasten.

Vor dem Hintergrund der publik gewordenen Stellungnahme aus Brüssel rief die Stadt gestern die Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien zu einer Krisensitzung zusammen. Ergebnis: Schweigen. CDU, SPD, Grüne und FDP verfassten eine dürre Erklärung: „Wir haben gemeinsam mit dem OB vereinbart, zunächst eine schriftliche Stellungnahme der beauftragten Rechtanwälte abzuwarten und dann auf dieser Grundlage das weitere Vorgehen zu besprechen.“

Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) ist nun schon der dritte OB, der seine Amtsperiode im langen Schatten der WCCB-Vergangenheit erlebt. Sein Vorgänger Jürgen Nimptsch (SPD), ebenfalls ein WCCB-Erbe, hatte es einmal als „Dämon“ bezeichnet, worunter sich eine Mischung aus Schicksalsmacht und bösem Geist verstehen lässt. Stets hagelte das Projekt mit seinen vielen juristischen Unberechenbarkeiten in die Tagespolitik und verschlang viel OB-Energie. So wie auch jetzt.

Nimptsch wollte die ominöse 100-Millionen-Bürgschaft von Anfang an nicht akzeptieren und regte früh ein EU-Notifizierungsverfahren an. Doch das hätte der Bund in Brüssel beantragen müssen, und die Bundesregierung hatte mit der griechischen Schuldenkrise ganz andere Sorgen. Also war der Plan schnell abgehakt. Dem WCCB-Laien erschien es von Anfang so: Erst treibt die Stadt ihre Hausbank mit einer Bürgschaft zu einer Kreditzusage an einen mittellosen Investor und, kaum ist der Bürgschaftsfall eingetreten, versucht sie sich mit juristischen Spitzfindigkeiten aus dem Staub zu machen.

Eine andere Strategie Nimptschs ging besser auf. Im für die Öffentlichkeit verwirrenden WCCB-Zahlenspiel versprühte der Parteikollege und Nachfolger von OB Bärbel Dieckmann stets Zweckoptimismus. Ende September 2015 war eine Art Tag der Offenen Tür im WCCB. Bis zu 10 000 Bonner strömten interessiert durch Säle und Flure, und Nimptsch rechnete den Besuchern vor, was für ein Geschäft das WCCB für Bonn sei. Die Stadt werde abzüglich der Zuschüsse von Bund und Land am Ende rund 100 Millionen Euro in die Fertigstellung des Bonner Prestigeprojekts gesteckt haben, das dann mit einem Versicherungswert von 150 Millionen Euro in der Bilanz stehe. Das Geld für das WCCB sei nicht in die „Wolken geschossen“. Es war ein Freudentag, zu dem keine unfreundlichen Zahlen passten und an dem manche WCCB-Rechnung ausgeblendet wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war die Stadt Bonn aber längst von der Sparkasse verklagt worden und hatte nach einer ersten richterlichen Einschätzung auch keine guten Karten. Einen Vergleichsvorschlag – 60:40 gegen die Stadt – lehnten beide Parteien ab und setzten mit vollem Risiko auf eine rechtliche Würdigung aus Brüssel.

Die Stadt vertrat die Auffassung, dass die Bürgschaft rechtswidrig gegen das EU-Beihilferecht verstößt. Eine komplizierte Rechtsmaterie, die gelegentlich selbst Ministerpräsidenten nicht verstehen. Aus dem Prozess um das Desaster am Nürburgring: Kurt Beck (SPD), über 18 Jahre Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, sitzt im Zeugenstand. Der Richter fragt ihn, ob denn die Landesbürgschaft über 485 Millionen Euro rechtlich zulässig gewesen sei. Beck meint, wenn jemand mit solch einer Frage in seiner Staatskanzlei erschienen wäre, hätte er dem gesagt: „Schreib mir erst mal auf, was das heißen soll.“

Auch Bonns Ex-OB Bärbel Dieckmann, in deren Amtszeit als Verwaltungschefin die Bürgschaft fiel, schien etwas missverstanden zu haben. Zwei Tage vor der Kommunalwahl Ende August 2009 sagte sie in der WDR-Lokalzeit, dass die Stadt keine Bürgschaft übernommen habe. Wörtlich: „Wenn es (das WCCB/Anm. d. Red.) scheitern sollte, wäre die Stadt nur für die Zinsen zuständig, das ist natürlich weit weniger als eine Bürgschaft.“

Das Bürgschaftshema hat jedoch viele Facetten. Denn die Sparkasse gehört zu 70 Prozent der Stadt Köln, zu 30 Prozent der Stadt Bonn. Deshalb saßen beide Städte stets auch auf der Klägerseite und hat die Domstadt stets argusäugig verfolgt, wie der Prozess ausgeht. Selbst wenn die Stadt Bonn den Gerichtssaal als 100-Prozent-Sieger verlassen würde, wäre sie über die 30-Prozent-Beteiligung indirekt im Fall der Fälle doch betroffen. So verhält es sich auch mit der Stadt Köln, die das Zeichen aus Brüssel als frohe Botschaft empfunden haben dürfte.

Auch bundesweit wird aufgeatmet. So blies Nimptsch im Vorfeld der Klage ordentlich Gegenwind entgegen. Der kam vor allem von der Kölner Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD), die für eine einvernehmliche Lösung zwischen Sparkasse und Bonn plädierte. Sie wird auch durch unwägbare Risiken für Dritte motiviert gewesen sein. So befürchteten der Sparkassen- und Giroverband sowie einige Oberbürgermeister Deutschlands, dass die Angelegenheit einen für sie gefährlich Präzedenzfall schaffen könnte, sofern vor Gericht entschieden würde, dass die städtische Bürgschaft gegen EU-Beihilferecht verstoße. Kommunale Bürgschaften (alte wie neue) für politisch gewünschte Projekte wären bei einem gerichtlichen „Bonn-Sieg“ dann sehr riskante oder gar nicht mehr machbare Konstruktionen, zumal die EU Sparkassen seit langem kritisch im Fokus haben.

Die städtische Bürgschaft spielte indes beim WCCB eine Schlüsselrolle (siehe Info-Kasten unten), weil der Investor eine kapitalschwache Figur war. Deshalb hatte die Sparkasse im Herbst 2005 auch einen Kredit verweigert. Damit war das WCCB eigentlich mausetot. Tage später wurde es jedoch wie von Geisterhand wiederbelebt. Die Verwaltungsspitze hatte in voller Höhe gebürgt, aber der Stadtrat erfuhr nur von der Kreditzusage – nichts von der niederschmetternden Investoranalyse der Sparkasse, nichts von der Bürgschaft. Heute ist klar: Ohne Bürgschaft hätte sich nie ein WCCB-Baukran gedreht und wäre Bonn nie UN-Stadt geworden. Ohne Bürgschaft aber auch keine jahrelange Bauruine, langjährige Prozesse und vor allem kein städtischer Gesamtschaden in dreistelliger Millionenhöhe.

Und doch keimt bei der Stadt noch eine letzte Hoffnung, wenigstens ein paar Milliönchen zu sparen. Der bisherige Vorsitzende Richter, der landgerichtsintern die Kammer wechselte, wird nicht mehr entscheiden, sondern ein anderer Richter. Denkbar, dass der alles anders beurteilt und noch einmal einen Vergleich anregt. Vielleicht nicht 60:40 gegen die Stadt, sondern jetzt – nach Brüssel – 80:20 gegen sie. Das wäre immer noch besser als 100:0, wie es offenbar die EU-Kommission sieht. Das entspräche immerhin einer Ersparnis von rund 20 Millionen Euro, aber im WCCB-Maßstab wären es eben nur ein paar Milliönchen.

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