Ein russischer Volksbürgermeister im Porträt Der Oppositionelle im Lauftrikot

Jekaterinburg · Jewgeni Roisman ist Russlands letzter Volksbürgermeister. Jetzt will er Gouverneur werden. Roisman ist ein cooler Typ, ein Frauenheld und oppositionell - ein Volksheld in seiner Stadt Jekaterinburg. Doch der Kreml mag keine selbstsicheren Stadtoberhäupter.

 Der russische Politiker Jewgeni Roisman steht in seinem Büro der Anti-Drogen-Stiftung in Jekaterinburg.

Der russische Politiker Jewgeni Roisman steht in seinem Büro der Anti-Drogen-Stiftung in Jekaterinburg.

Foto: picture alliance / dpa

Er habe beim Training Probleme mit den Knien bekommen, dann aber die alten Crosstreter gegen Asphaltschuhe getauscht. „Ich habe zwei Monate in diesen Schuhen gelebt“, erzählt Jewgeni Roisman über die Vorbereitung auf den 42 Kilometer-Lauf. „Und mein Gewicht von 104 auf 97 Kilo gedrückt. Mehr war einfach nicht drin.“

Roisman (54) ist der vielleicht sportlichste Bürgermeister Russlands: Langstreckenschwimmer, Rallyepilot und Gewichtheber. 2015 lief er seinen ersten Marathon. Ein blauäugiger Hüne mit silbergrau meliertem Schopf, statt Anzug trägt er lieber verwaschene Jeans und T-Shirts – seine Taucheruhr aber glänzt golden. Ein cooler Typ, ein Frauenheld, durchaus eitel, in Jekaterinburg aber auch ein Volksheld. Am Montag verkündete er auf seiner Facebook-Seite, er wolle bei den Gouverneurswahlen in der Swerdlowsker Region kandidieren. „Ich habe hier nie eine Wahl verloren“, tönt er. Einer der seltenen oppositionellen Wahlsieger in Russland.

Gründer der Stiftung "Stadt ohne Drogen"

2003 gewann Roisman als unabhängiger Kandidat im Swerdlowsker Rajon Ordschonikidse ein Direktmandat für die Staatsduma. Seine Wiederwahl 2007 scheiterte daran, dass die Direktwahlkreise abgeschafft wurden. Und dass die Partei „Gerechtes Russland“, für die Roisman antreten wollte, ihn überraschend von ihrer Liste strich. Auf Geheiß des Kremls, wird vermutet. 2013 siegte er trotz einer Anti-Roisman-Kampagne der Staatsmedien bei den Bürgermeisterwahlen in Jekaterinburg.

Der Sohn eines Lehrers wurde als Juwelenhändler reich. Er sammelt Ikonen und schreibt Gedichte, berühmt wurde er aber als Kämpfer gegen das Rauschgift. 1999 gründete er mit einigen Gleichgesinnten die Stiftung „Stadt ohne Drogen“. Sie richteten Entzugszentren mit drastischen Heilmethoden ein: Neuankömmlinge landeten dort hinter Gittern, statt Ersatzdrogen gab es Knoblauch.

Dabei arbeitet „Stadt ohne Drogen“ sehr transparent. „Man zeigt Euch alles“, beschimpfte er einmal gegenüber unserer Zeitung die ausländische Presse. „Aber dann schreibt Ihr doch nur Gemeinheiten.“ Die Familien seiner Klienten unterstützen seine Rosskuren. Seine politisch oft sehr unkorrekten Verbalattacken auf korrupte Polizisten oder drogenhandelnde Zigeunersippen haben Roisman in Jekaterinburg nur noch populärer gemacht. Aber er protestiert auch gegen die Prozesse, die liberalen Putin-Gegnern gemacht werden.

Oppositioneller als einsame Figur in Russland

Bei den Bürgermeisterwahlen holte Roisman in der 1,5-Millionenstadt Jekaterinburg über 30 Prozent der Stimmen. Mit einem ähnlichen Ergebnis könnte er in der 4,3-Millionen Region Swerdlowsk dem wenig populären Gouverneur Jewgeni Kuiwaschew Schwierigkeiten bereiten. „Auch wenn Roisman nicht gewinnt, bedeutet seine Teilnahme ein bis zum Ende knappes Rennen“, sagt der Moskauer Politologe Jewgeni Winogradow.

Auch vor diesem Wahlkampf ist unklar, ob die Behörden Roismans Kandidatur nicht aus formalen Gründen verhindern werden. Abgesehen davon ist der Volksbürgermeister eine einsame Figur in Russland. Der Kreml und seine Gouverneure lieben keine selbstsicheren Stadtoberhäupter. Oppositionelle Rathauschefs wie Jewgeni Urlaschow landeten in Jaroslawl zum Beispiel als mutmaßliche Schmiergeldnehmer hinter Gittern.

„Ich habe Stehvermögen“, sagt Roisman selbst. Allerdings, er hat auch schon erklärt, nach seinem Marathonlauf könne er sich einen Start beim Triathlon vorstellen. Der Tatmensch Roisman will jedenfalls neue Gipfel stürmen, ob als Politiker oder Ausdauersportler.

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