Prozess gegen Bo Xilai Der Politkrimi um Mord, Korruption und Gier hält China weiter in Atem

PEKING · Noch zu Beginn des Prozesses am vergangenen Donnerstag waren die chinesischen Staatsmedien überzeugt: Ein Urteil ist bereits nach zwei Verhandlungstagen gefällt. Denn so ist es bei Prozessen in China normalerweise: In 90 Prozent aller Fälle steht das Urteil auf schuldig von Beginn an fest. Die Gerichtsverhandlungen dienen nur noch der Schau.

 Der frühere Politiker Bo Xilai gibt sich schlagfertig.

Der frühere Politiker Bo Xilai gibt sich schlagfertig.

Foto: ap

Doch im Fall des in Ungnade gefallenen Spitzenpolitikers Bo Xilai haben sich die staatlich kontrollierten Medien geirrt. Beim Prozess gegen den einst mächtigen Parteichef der 30-Millionen-Metropole Chongqing wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Bestechung gibt er sich überraschend schlagfertig.

Wie aus den vom Volksgericht der ostchinesischen Stadt Jinan regelmäßig veröffentlichten Protokollen hervorgeht, gelingt es dem 64-Jährigen immer wieder, Zeugen zu diskreditieren. Und auch die Richter wirken überfordert und scheinen sich den Ablauf völlig anders vorgestellt zu haben. Die Gerichtsverhandlung zieht sich denn auch bereits in den vierten Tag.

Am Sonntag hatte der wichtigste Zeuge des Skandals seinen Auftritt: Wang Lijun, einst enger Vertrauter von Bo und ehemaliger Polizeichef der Stadt Chongqing. Wang war Ende Januar 2012 in einer Nacht- und Nebelaktion in ein US-Konsulat geflüchtet, wo er gegenüber den US-Beamten über den Mord von Bos Ehefrau Gu Kailai an den britischen Geschäftsmann Neil Heywood auspackte.

[kein Linktext vorhanden] Gu hatte zwei Monate zuvor den Briten ermordet, nachdem er ihr und ihrer Familie offensichtlich gedroht hatte. Heywood schleuste über viele Jahre hinweg große Vermögenswerte für das Ehepaar Bo illegal ins Ausland und verschaffte unter anderem dem gemeinsamen Sohn von Bo und Gu einen Platz in einem britischen Eliteinternat. Doch es kam zum Streit, woraufhin sie ihn vergiftete.

Zunächst hieß es, Heywood sei an einer Alkoholvergiftung ums Leben gekommen. Dass es sich um Mord handelte, kam erst mit Wangs Flucht ins US-Konsulat heraus. Wang ist bereits vor einem Jahr wegen Staatsverrats und Fahnenflucht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, Gu Kailai wegen Mords zu einer Todesstrafe auf Bewährung. Am Samstag räumte der nun ebenfalls angeklagte Bo immerhin "eine gewisse Mitverantwortung" im Umgang mit dem Mord ein.

Er habe sich nicht ganz korrekt verhalten, als Wang ihm von der Tat seiner Frau unterrichtete, gestand Bo. Für Wangs Flucht in das US-Konsulat trage er eine Mitschuld. Nachdem er seine Frau auf Wangs Vorwürfe ansprach, habe sie ihm entgegnet, dass Wang ihr eins auswischen wolle. Das habe er geglaubt, rechtfertigte sich Bo. Daraufhin habe er Wang zu sich ins Büro gerufen und ihm eine Ohrfeige verpasst. "Ich schäme mich", sagte Bo. Darüber hinaus habe er sich jedoch nichts vorzuwerfen.

"Das war nicht nur ein Klaps", widersprach ihm allerdings Wang. Sein gesamter Mund habe geblutet. Er habe bereits vorher große Angst gehabt, so Wang weiter. Mitarbeiter und andere Ermittler, die mit dem Fall befasst waren, seien schon verschwunden gewesen.

Bo habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Mord zu vertuschen. Am Sonntag zeigte sich Bo denn auch wieder kämpferisch und beschimpfte seinen ehemaligen Vertrauten als Lügner. Er warf Wang einen "extrem schlechten Charakter" vor. Bo und Wang verbindet eigentlich eine enge Beziehung.

In seiner Zeit als Parteichef von Chongqing hatten sie gemeinsam in einer groß angelegten Kampagne dem "organisierten Verbrechen" den Kampf angesagt, sich dabei jedoch fragwürdigen Mittel bedient und sich auch politischer Gegner entledigt. Wang trug den Beinamen "Superbulle".

Wie sehr Wang der Prozess mitzunehmen scheint, zeigte sich am Sonntag auch vor der Verhandlung. Er musste im Rollstuhl in den Gerichtssaal gefahren werden, weil er mehreren Quellen zufolge wenige Stunden zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte. Statt einer Unterschrift konnte er nur einen Fingerabdruck unters Protokoll setzen.

Nach den heftigen verbalen Auseinandersetzungen brachen die Richter bereits gegen Mittag die Verhandlungen ab und vertagten den Prozess auf Montag. Und ein Ende ist auch weiter nicht abzusehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort