Der SPD-Parteitag: Die Leviten gelesen

BERLIN · Mal heißt es, Deutschland tue nicht genug, um die Euro-Krise zu überwinden. Dann wieder wird Deutschland kritisiert, dass es Europa dominiere. Manchmal klingt das nach dem Motto: Wasch´ mir den Pelz, aber mach´ mich nicht nass.

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Da hat ihr Helmut Schmidt, der extrem populäre Vor-Vor-Vorgänger, gerade noch gefehlt.

Der Altkanzler hat die Bühne des SPD-Parteitages genutzt, um Merkel die Leviten zu lesen. Kraftmeierei, so Schmidt, isoliere Deutschland und sei im Angesicht der historischen Schuld unangemessen und schädlich. Gewiss werden diese Worte in Europa wohl vernommen. Und es muss die Frage erlaubt sein, ob nicht diese Mahnung der Außenpolitik Deutschlands schadet, ohne dass einem gleich vorgeworfen wird, an einem Denkmal zu rütteln.

Schmidt betrachtet die Welt mit den Augen eines 92-Jährigen, aus der Perspektive der (aussterbenden) Kriegsgeneration. Es ist gewiss sein gutes Recht, ja seine Pflicht, immer wieder an die historische Schande zu erinnern.

Wenn er die Euro-Krise einbettet in die europäische Friedenspolitik, dann bietet er jene Orientierung, die die Regierung zuweilen vermissen lässt. Auf der anderen Seite muss aber auch ein Helmut Schmidt zur Kenntnis nehmen, dass sich die Nachkriegsgeneration nicht mehr voll für die Gräueltaten der Nazis verantwortlich machen lassen will.

Deutschland hat bewiesen, dass es eine friedliebende Nation ist, die sich um die Nachbarn maximal bemüht, und damit ein mindestens normales, in vielen Bereichen vielleicht sogar vorbildliches Mitglied der Staatengemeinschaft ist. Dass ein 80-Millionen-Volk im Zentrum Europas mit enormer wirtschaftlicher Kraft in einer existenziellen Krise ein primus inter pares, also ein Erster unter Gleichen, sein muss, ergibt sich fast von selbst.

So sehr Schmidts historisch motivierte Einlassungen also mit Vorsicht zu genießen sind, so sehr hat er Recht mit seinen ökonomischen Hinweisen.

Erstens: Die enormen Überschüsse unserer Handelsbilanz haben die Schulden der Defizitländer zumindest mitverursacht. Deutschland trägt also eine gewaltige Mitschuld, weil es das Ideal des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts wieder und wieder verletzt hat.

Zweitens: Europa ist bereits eine Transferunion. Es kann anders auch gar nicht funktionieren. Deutschland muss sogar noch mehr finanzielle Lasten tragen. Und es tut dies bereits, wenn die Europäische Zentralbank Staatsanleihen ankauft.

Die Eurobonds-Verweigerung der Bundesregierung wird vor diesem Hintergrund zunehmend zu einer parteitaktisch motivierten Symbolpolitik, die den Menschen Sand in die Augen streut. Hier muss sich die Bundesregierung erst einmal innenpolitisch ehrlich machen, um dann wieder - ja - in Europa führen zu können.

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