Erderwärmung Der Trend zu "stehenden Wettern"

Bonn · Hitzewellen gab es schon immer. Aber sie waren kürzer und nicht so warm. Inzwischen steht fest, dass der Klimawandel manche Wetterlage verursacht.

 Der Polarfront-Jetstream wird vom Temperaturgefälle zwischen Polen und wärmeren Gefilden angetrieben. Das hat sich verringert, weshalb das Starkwindband seit Jahren vermehrt schlingert (Nasa-Foto).

Der Polarfront-Jetstream wird vom Temperaturgefälle zwischen Polen und wärmeren Gefilden angetrieben. Das hat sich verringert, weshalb das Starkwindband seit Jahren vermehrt schlingert (Nasa-Foto).

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Diese Affenhitze: Ist das noch das unberechenbare Wetter oder schon der eher berechenbare Klimawandel? Stets hatten Forscher in den letzten Jahren wissenschaftlich korrekt geantwortet, dass sich kein einzelnes Extremwetter durch den Klimawandel erklären lasse. Zwar entspreche dieses und jene Ex-tremwetter den Vorhersagen zur globalen menschengemachten Erwärmung, aber es ließe sich nicht definitiv als Klimawandel-Wetterereignis identifizieren. Denn Starkregen, Hitzewellen, Schneemassen, Trockenperioden, Kaltlufteinbrüche: Das gab es schon immer. Die Faustformel für das, was Wetter und Klima trennt, kennen inzwischen so viele Menschen, dass sie in einem Millionenquiz allenfalls eine 500-Euro-Frage wäre: Erst 30 Jahre Wetter machen einen Klimatrend. Vorher geht’s rein statistisch nicht.

Doch wäre es töricht, bei der Vielzahl extremer Wetter drei Jahrzehnte abzuwarten, um erst dann Gewissheit und einen Grund zum Gegensteuern zu haben. „Was ist das für eine Wissenschaft, die nur zuschaut, wie sich ihre Prognosen bestätigen?“, fragte bereits Mitte der 1980-er Jahre der Chemie-Nobelpreisträger Sherwood Rowland, der im Labor Mitte der 1970er Jahre das Ozonloch vorhersagte. Seit dem letzten Sommer hat sich in der „Ist-das-noch-Wetter“-Frage wissenschaftlich durchaus einiges getan. Aber nicht das Wetter ist berechenbarer geworden, sondern die Eingangsfrage lässt sich im Einzelfall beantworten.

Japans Regierung hatte die tödliche Hitze im Juli 2018, bei der nach Angaben des japanischen Gesundheitsministeriums 1032 Menschen starben, noch als „Naturkatastrophe“ eingestuft. Später errechneten Wissenschaftler der japanischen Wetterbehörde, dass diese Naturkatastrophe „ohne den menschengemachten Klimawandel nicht hätte stattfinden können“. Anders die zeitgleiche Hitzewelle in Nordeuropa, als Skandinaviens Wälder brannten: Britische Forscher fanden heraus, dass eine solche Heißperiode grundsätzlich auch ohne den Taktstock des Klimawandels möglich sei, allerdings habe letzterer die Wahrscheinlichkeit verdoppelt.

Hinter dem neuen Kompass im Labyrinth der Wetterdeutung steckt ein sperriges Wort: Attributionsforschung – die Erkundung der Zuordnung. Was wird durch was verursacht? Eine 36-jährige deutsche Physikerin kann antworten. Professor Friederike Otto, Vizedirektorin des Environmental Change Institute der Universität Oxford, hatte 2018 weltweit Schlagzeilen gemacht, weil ihre Studie die zentrale Sommer-2018-Frage beantwortet hatte: Eine ex-treme Hitzewelle wie 2018 ist „mit Klimawandel“ in Irland zweimal, in den Niederlanden dreimal, in Dänemark fünfmal wahrscheinlicher geworden als ohne die großen Treibhausgasmengen in der Atmosphäre.

Otto hatte die vielen regionalen Wetterdaten aus zurückliegenden Jahrzehnten einmal mit den realen Treibhausgas-Gigatonnen durch die Höchstleistungsrechner geschickt, ein anderes Mal mit einer Welt, in der der Mensch nicht übermäßig Kohle, Öl und Gas verbrannt hatte. Inzwischen wurde die gebürtige Kielerin in den UN-Weltklimarat IPCC berufen.

Menschen mögen Klimamodellen und Computern, die die Klimazukunft hochrechnen und die klimatische Gegenwart richtig vorhergesagt haben, misstrauen und „ja, aber“ sagen. Aber die Genese extremer Wetterlagen ist plausibel (siehe Info-Kasten) und nachweisbar. Europas Wetter hängt demnach am arktischen Meereis meteorologisch wie an einer Nabelschnur. Und diese Fernwirkung erklärt gerade auch den Ausflug der Saharaluft nach Europa, aber auch mögliche strenge Winter in Zukunft.

Eine etablierte Theorie, wie die Klimakrise künftig neue Wettermuster in Europa begünstigt, existiert noch nicht, „aber viele Indizien sprechen dafür“, dass sich die Strahlströme und damit die Wellen in der oberen wetteraktiven Schicht verändern werden – „hin zu mehr stationären Wetterlagen“, sagt Professor Andreas Fink vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (Karlsruhe). „Das kann Hitze, Sommerfluten, aber auch Winterkälte bedeuten.“ Auch die US-Weltraumagentur, seit jeher in der Erdklimaforschung an vorderster Front aktiv, verfolgt argusäugig die aktuelle Hitzewelle in Europa. Professor Tapio Schneider vom Nasa Jet Propulsion Laboratory sagt, dass die Mitteltemperatur in Europa „inzwischen etwa 1,8 Grad höher liegt als in den 1970-er Jahren. Damit werden auch Hitzewellen wärmer und Temperaturschwellen, wie zum Beispiel 40 Grad, häufiger überschritten.“

„Wenn wir jetzt die 40-Grad-Celsius-Marke knacken, würden wir in 100 Jahren vielleicht die 45- oder die 46-Grad-Celsius-Marke knacken“, sagt Professor Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima an der Universität Graz. Die spannende Frage sei, was die Dauer solcher Zustände bestimme. „Hier muss es verschiedene Einflüsse geben: Meereis- und Schneeverteilungen, Muster der Meeresoberflächentemperatur oder Rückkopplungen mit der Bodenfeuchte, wenn sich trockene Wetterlagen selbst stabilisieren.“ Für Professor Gabriele Hegerl, Mitglied der Forschungsgruppe Atmosphärische Chemie und Klima der Universität Edinburgh, ist „überzeugt, dass wir bei den Wetterlagen zurzeit eine Änderung sehen. Hohe Temperaturen im Sommer werden wahrscheinlicher.“

In der öffentlichen Wahrnehmung etwas unterbelichtet sind die Wälder. Nicht bei Förstern und Waldbesitzern. Sie sehen, was der Sommer 2018 mit ihren Fichtenbeständen machte: Mit den geschwächten Bäumen hatte der von viel Wärme stark vermehrte Borkenkäfer leichtes Spiel. Auch die Buche zeigte Durststress und Schädigungen. Erst Blattwelke im letzten Sommer, dann war im Frühjahr häufig das gesamte Kronendach betroffen. Der Trockenstress wirkt lange nach – so lange, dass ein Baum, weil geschwächt, erst im übernächsten Jahr den Schädlingstod sterben kann. Deshalb war bisher eine komplette Schadenserhebung für 2018 noch gar nicht möglich.

Henrik Hartmann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie und Sprecher des Arbeitskreises Ökosystemforschung der Gesellschaft für Ökologie, glaubt, dass die aktuelle Hitze einen Schneeballeffekt auslöst und am Ende der totale Sieg des Borkenkäfers steht und „unter Umständen die völlige Zerstörung der Fichtenbestände“. Weitere Hitzewellen könnten dann auch die Eiche schädigen, die etwas trockentoleranter als die Buche sei.

„Proaktives Handeln im Forst ist schwieriger als in der Landwirtschaft und bedarf nachhaltigen Denkens“, sagt Hartmann. Die Ansiedlung nicht-heimischer Baumarten – „ohne fundierte Kenntnisse ihrer Trocken- und Hitzetoleranzen“ – sei „kurzsichtig, die Douglasie ist hierfür ein gutes Beispiel: Einst als Zukunftsbaum für den Klimawandel eingeführt, zeigt auch sie bereits starke Schäden durch den Sommer 2018.“

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