Interview mit Jürgen Hellbrück Der Umweltpsychologe über Lärm und wie man mit ihm umgeht

BONN · Mit Lärm ist fast jeder Mensch täglich konfrontiert. Mit dem Umweltpsychologen Jürgen Hellbrück sprach Moritz Rosenkranz über das Thema. In aller Ruhe.

Herr Hellbrück, wofür braucht es einen "Tag gegen Lärm"?
Jürgen Hellbrück: Um das Thema immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, denn Lärm ist ein unterschätztes Umwelt- und Gesundheitsproblem.

Was genau ist denn Lärm?
Hellbrück: Lärm ist Schall, der unerwünscht ist. Er unterbricht Tätigkeiten, schafft Unzufriedenheit und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit. Zudem erfahren Immobilien einen Wertverlust oder es müssen teure Lärmschutzmaßnahmen getroffen werden. Dazu kommen gesundheitliche Schäden. Es gibt Berechnungen, die gehen von neun Milliarden Euro Kosten jährlich aus, verursacht durch die genannten Probleme.

Wo fängt Lärm an?
Hellbrück: Das ist schwer zu beziffern, weil Schall eine physikalische, Lärm aber eine subjektive und damit individuelle Größe ist.

Mögen Menschen, die in Diskos gehen, Lärm?
Hellbrück: Diskothekenbesucher nehmen das nicht als Lärm wahr, aber es ist trotzdem schädlich für das Gehör, auch wenn es als angenehm empfunden wird.

Und wenn ich an einer vielbefahrenen Straße wohne?
Hellbrück: Straßenverkehrslärm ist grundsätzlich nicht schädlich für das Gehör, auch wenn man ihm dauerhaft ausgesetzt ist. Allerdings geht die Forschung davon aus, dass ab einem Durchschnittspegel von 65 Dezibel mit anderen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu rechnen ist. Und 16 Prozent der Bevölkerung sind solchen Pegeln ausgesetzt.

Kann man sich an Lärm gewöhnen?
Hellbrück: Nein. Lärm ist Dauerstress, dem Sie sich nicht entziehen können, weil Sie immer wieder Maßnahmen dagegen treffen müssen. Verbunden mit der Einsicht, vielleicht nicht wegziehen zu können, erzeugt das einen Groll, der auf Dauer das Herz-Kreislauf-System belasten kann. Aber solche Folgen sind sehr individuell, es sei denn, die Lärmbelastung ist dauerhaft sehr hoch.

Bonn und die Region sind teilweise sehr belastet mit Lärm. Wie bewerten Sie das?
Hellbrück: Der Schienenverkehr wird zwar grundsätzlich besser bewertet als Straßen- und Fluglärm, aber im mittleren Rheintal ist die Situation extrem. Da kann man eigentlich nur noch wegziehen, wenn dies so einfach möglich wäre. Und der Fluglärm ist teilweise der Wahnsinn, vor allem auch weil die Geräuschcharakteristik von sich nähernden und über die Köpfe fliegenden Flugzeugen etwas sehr Bedrohliches hat.

Kann man die eigene Lärmempfindlichkeit abschwächen?
Hellbrück: Je nach Tätigkeit wird man schon von sehr leisen Geräuschen abgelenkt. Musik beispielsweise kann helfen, andere störende Geräusche zu überdecken. Im Büro funktioniert das sehr gut mit Kopfhörern, sofern es die Arbeitssituation zulässt. Vor allem instrumentale Musik, die sehr gleichmäßig ist, funktioniert gut. Deutschsprachiger Rap wäre hingegen kontraproduktiv, weil er das innere Sprechen stören würde.

Kann ich Lärmquellen positiv begegnen und sie dadurch abschwächen?
Hellbrück: Geräusche setzen ja nicht ohne Grund Stresshormone frei. Bestimmte Geräusche werden als Gefahrensignale interpretiert und die dadurch ausgelösten Stresshormone waren bei unseren Vorfahren dazu gut, um in Abwehrbereitschaft zu gehen. Auch heute interpretiert der Körper diese Signale in gleicher Weise, er baut den dadurch entstandenen Stress nur nicht mehr ab, weil die Geräusche eben selten eine körperliche Bedrohung signalisieren. Hier kann es also helfen, diese Signale umzuinterpretieren, indem ich eben akzeptiere, dass der Nachbar den Rasen mähen muss und ich mich dadurch über einen schönen Anblick freuen kann. Bei dauerhaftem Flug- oder Bahnlärm funktioniert das dann in der Regel nicht mehr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Bekenntnis zur Truppe
Kommentar zum Veteranentag Bekenntnis zur Truppe
Zum Thema
Aus dem Ressort