SPD-Vorsitz Deshalb droht in Berlin eine Regierungskrise

Berlin · Mit einer deutlichen Mehrheit hat die Partei für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Vorsitzende gestimmt. Damit droht in Berlin eine Regierungskrise, denn die große Koalition ist gefährdeter denn je.

 Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken winken nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken winken nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Olaf Scholz steht wie versteinert da, weiß nicht so recht wohin mit seinen Händen. Er kann sich so gut kontrollieren wie kaum ein anderer Politiker, doch an diesem Samstagabend fällt es selbst dem Noch-Finanzminister und Noch-Vizekanzler schwer. Für ihn ist gerade der größte anzunehmende Unfall eingetreten. Die SPD-Basis hat mit einer deutlichen Mehrheit von 53 Prozent für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue SPD-Vorsitzende gestimmt – eine weitgehend unbekannte Abgeordnete aus Baden-Württemberg und den früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister. Nur 45 Prozent waren für Scholz und seine Mit-Kandidatin Klara Geywitz aus Brandenburg. Scholz’ Lebenstraum, es noch bis ins Kanzleramt zu schaffen, ist damit ausgeträumt.

Die spektakuläre Personalentscheidung der SPD-Mitglieder ist eine politische Bombe nicht nur in der SPD. Sie löst ein Beben im gesamten Berliner Regierungsviertel aus, denn die große Koalition ist damit gefährdeter denn je. Noch am Abend gibt es auch in der Union sofort Telefonschaltungen. Jeder fragt sich jetzt: Überlebt die große Koalition? Und wenn ja, wie lange? Welche Zugeständnisse kann die Union der SPD noch geben, ohne ihre eigene Stabilität zu gefährden? Wird es Neuwahlen geben oder wagt Kanzlerin Angela Merkel eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten?

 Denn Walter-Borjans und Esken haben in mehr als 23 Regionalkonferenzen in den vergangenen sechs Monaten und besonders im finalen Stichwahlprozess zu verstehen gegeben, dass sie nicht viel von dem Bündnis mit der Union halten. Sie wollen im Grunde raus aus der „Groko“, früher oder später. Jedenfalls dann, wenn sie dafür von den Delegierten des SPD-Parteitags am kommenden Wochenende den Auftrag erhalten. Doch wie soll das aussehen? In den kommenden Tagen treffen sich die Spitzengenossen, um über den Leitantrag zu beraten. Es gilt als ausgemacht, dass darin mehrere Punkte genannt werden, die man mit der Union unbedingt nachverhandeln will.

Scholz wird vorerst nicht zurücktreten

Unter Verweis auf die Revisionsklausel im Koalitionsvertrag soll es – so viel ist jetzt schon absehbar – um einen Mindestlohn von zwölf Euro gehen, um eine Stärkung der Tarifverträge, um milliardenschwere Investitionsprogramme von 500 Milliarden Euro für neue Straßen, Schulen, die Bahn, Klimaschutz und Digitalisierung  und um einen höheren CO2-Einstiegspreis im Klimapaket gehen.

Wo CDU und CSU dem folgen wollen, ist offen. Doch klar ist, dass die Union einen ihrer Markenkerne, die Ablehnung neuer Schulden und höherer Steuern, auf keinen Fall aufgeben kann und will, um die große Koalition zu retten.

Der geschlagene Scholz wird als Finanzminister und Vizekanzler vorerst nicht zurücktreten. Er macht weiter, unklar jedoch wie lang. Bis zur offiziellen Wahl des Duos am kommenden Freitag wird es wohl keine Personalentscheidungen in der Regierung geben. Danach ist alles offen. Am Samstagabend wird bereits über die Besetzung der drei geplanten SPD-Vizeposten spekuliert: Juso-Chef Kevin Kühnert, der große Unterstützer des Duos Walter-Borjans/Esken und profilierteste Groko-Kritiker, hat gute Chancen.

Doch sicher ist da nichts. Nur, dass Walter-Borjans und Esken jetzt in kaltes Wasser springen. Insbesondere die Bundestagsfraktion müssen sie beruhigen. Im Falle von Neuwahlen würden angesichts des SPD-Sinkflugs in den Umfragen etliche Abgeordnete ihre Mandate verlieren, deshalb ist die Unterstützung für einen Koalitionsbruch hier auch gering. Am Dienstag gaben mehrere einflussreiche Abgeordnete Saskia Esken zu verstehen, dass sie nicht hinter ihr stehen würden. Fraktionschef Rolf Mützenich soll auch Walter-Borjans in einem persönlichen Gespräch deutlich gemacht haben, dass der Anti-Groko-Kurs keine Mehrheit bekommen werde. Die Fronten sind verhärtet, die Partei tief gespalten.

Keine Bereitschaft, den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln

In der CDU schließen sich am Wochenende schnell die Reihen: Man ist nicht bereit, den Koalitionsvertrag auf Wunsch der SPD nachzuverhandeln. Auch wenn die SPD Forderungen wie zwölf Euro Mindestlohn, Vermögensteuer, ein Aufweichen der Schuldenbremse oder ein Aufschnüren des Klimapakets in einem nächsten Koalitionsausschuss aufrufen sollte, will die Union sich darauf nicht einlassen. Angesichts der Forderungen der neuen SPD-Spitze nach einem höheren Mindestlohn oder Nachbesserungen am Klimapaket sagt etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet (CDU) im Deutschlandfunk: „Nichts davon wird es geben.“

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unterstreicht, dass die Union die „schwarze Null“ nicht aufgeben werde, um die SPD-Wünsche nach Mehrinvestitionen oder höheren Sozialausgaben zu erfüllen. Klar ist aus Unionssicht: Man wird diese Koalition nicht um jeden Preis fortsetzen. Zudem ist die Sorge bei der Union groß, dass sich der pragmatische Vizekanzler Scholz aus dem Amt des Finanzministers zurückzieht oder zurückziehen muss. Scholz erreichen viele bedauernde SMS-Nachrichten aus der Union. Er wird in der Union als Dreh- und Angelpunkt für die Stabilität der Groko gesehen.

Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, als Verteidigungsministerin am Sonntag unterwegs zum deutschen Einsatzkontingent im Kosovo, betont, die Union stehe zur Groko auf der Grundlage des Koalitionsvertrags. Nachverhandlungen lehnt sie aber auch nicht rundweg ab. Auf „AKK“ nimmt nun der Druck zu, ihre Reihen zusammen zu halten. Ginge sie zu weit auf Forderungen der neuen SPD-Spitze ein, um die Koalition zu erhalten, hätte sie weiter rechts stehende Politiker gegen sich. „CDU und CSU machen verlässliche Politik, deshalb gilt für uns: Pacta sunt servanda“, betont etwa Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU). „Eine Personalentscheidung in der SPD alleine ist noch lange kein Grund, einen fair verhandelten und beidseitig akzeptierten Vertrag neu auszuhandeln.“ Wo unvorhergesehene Entwicklungen Ergänzungen tatsächlich nötig machen sollten, „haben wir als Union natürlich den Anspruch, dabei unsere Vorstellungen durchzusetzen. Schließlich bleiben wir der größere Partner in dieser Koalition“, so Krings.

Und für den Chefhaushälter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, ist ausgeschlossen, dass die Koalition die Schuldenbremse zu Gunsten von mehr Investitionen aufweicht. „Der Koalitionsvertrag gilt, somit sind keine neuen Schulden möglich. Es gilt ebenso die Schuldenbremse im Grundgesetz“, sagt Rehberg. „Deutschland hat kein Finanzierungsproblem bei Investitionen, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Wer zudem einen höheren CO2-Preis fordere, müsse dies vor allem gegenüber den Menschen im ländlichen Raum verantworten, weil die Benzinkosten deutlich stiegen.  Der eigentliche Gewinner des SPD-Entscheids sei Juso-Chef Kühnert, der Königsmacher von Walter-Borjans und Esken. „Kühnert geht es um sich selbst und seine sozialistischen Träumereien“, sagt Rehberg. „Deshalb mache ich mir große Sorgen um die politische Stabilität.“

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