Folgen für Bürger und Kommunen Abwassergebühren in NRW wurden jahrelang falsch berechnet

Update | Münster · Jahrelang wurden die Abwassergebühren in NRW aufgrund einer falschen Grundlage berechnet, urteilt das Oberverwaltungsgericht. Das hat Folgen - für Bürger und Kämmerer. Wir haben nachgefragt, wie sich das Urteil in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis auswirkt.

 Um die Berechnung der Gebührenbescheide für Abwasser gibt es in Nordrhein-Westfalen immer wieder Streit.

Um die Berechnung der Gebührenbescheide für Abwasser gibt es in Nordrhein-Westfalen immer wieder Streit.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Die Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen sind über Jahre auf Basis einer falschen Grundlage berechnet worden. Das hat das NRW-Oberverwaltungsgericht am Dienstag in Münster in einem Musterverfahren entschieden. Für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen hat das Urteil Folgen in Millionen-Höhe.

Geklagt hatte ein Grundstücksbesitzer in der Stadt Oer-Erkenschwick. Er wehrte sich gegen einen Abwasserbescheid aus dem Jahr 2017 über knapp 600 Euro. Der war rechtswidrig und um 18 Prozent zu hoch ausgefallen, wie das OVG jetzt urteilte. Direkt von dieser Entscheidung profitieren jetzt Bürger, die in der Vergangenheit Widerspruch gegen ihre Bescheide eingelegt haben.

Abwassergebühren in NRW zu hoch - was heißt das für Hausbesitzer und Mieter?

Hausbesitzer und Mieter dürfen nach dem Urteil in den nächsten Jahren damit rechnen, dass ihre Gebührenbescheide oder Nebenkostenabrechnungen niedriger ausfallen, weil die Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Berechnungen neu aufstellen müssen. In den städtischen Haushalten werden demnach Gebühren in Millionen-Höhe fehlen.

Der 9. Senat des OVG bemängelte gleich mehrere Punkte im Fall Oer-Erkenschwick, sieht eine Mitschuld aber auch bei der Politik. Im entsprechenden Gesetz des Landes fehle es an konkreten Vorgaben, an denen sich die Kommunen orientierten könnten. Laut OVG gebe es zum Beispiel in den neuen Bundesländern solche Vorgaben.

Das OVG kritisierte mehrere Punkte der bisherigen Berechnungspraxis: Die Stadt habe bei den Gebührenbescheiden die Abschreibungen und Zinsen so berechnet, dass diese die tatsächlichen Kosten für die Anlage wie die Abwasserrohre am Ende überschreiten. „Die Gebühren dürfen nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind“, erklärte das OVG und bezieht sich dabei auf die NRW-Gemeindeordnung.

Zu hohe Zinsen bei Abwassergebühren in NRW berechnet

Beim kalkulatorischen Zinssatz ging die Stadt vom Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre aus und setzte noch einen Aufschlag drauf. Das OVG dagegen sieht nur einen Zeitraum von 10 Jahren als begründbar an. Und so kamen die Richter nicht auf einen Zinssatz von 6,52 Prozent wie die Stadt, sondern nur noch auf 2,42 Prozent.

„Die Richter teilen voll und ganz unsere Auffassung“, sagte der NRW-Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler (BdSt), Rik Steinheuer, laut Mitteilung nach der Entscheidung. „Abwassergebühren sind dazu da, die kommunale Abwasserbeseitigung sicherzustellen - und nicht, auf Kosten der Gebührenzahler satte Gewinne abzuschöpfen“, sagte Steinheuer. Der BdSt hatte das Verfahren von Anfang an begleitet und die Gebührenzahler in Nordrhein-Westfalen aufgefordert, Widersprüche gegen ihre Bescheide einzulegen.

Abwassergebühren zu hoch - Folgen für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis?

Wir haben mehrere Stadtverwaltungen in der Region angefragt, was das Urteil nun für Bürgerinnen und Bürger bedeutet. Da der Urteilstext bislang noch nicht veröffentlicht wurde, können die Kommunen allerdings derzeit noch keine Auskunft geben, wie sich das Urteil konkret vor Ort auswirkt. „Wir müssen die Veröffentlichung des Urteils abwarten und dann den Sachverhalt ausführlich prüfen. Erst danach können wir weitere Aussagen bzw. Entscheidungen treffen“, heißt es zum Beispiel aus Troisdorf. Auch die Stadtverwaltungen in Bonn und in Siegburg konnten am Mittwoch keine Auskünfte geben, inwiefern die Abwassergebühren vor Ort nun sinken und auf welche Verluste sich die Kommunen nun einstellen.

Das OVG änderte mit dem Urteil seine eigene langjährige Rechtsprechung. In der Vorinstanz vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte der Kläger aus Oer-Erkenschwick im Jahr 2020 noch keinen Erfolg.

Revision zum Bundesverwaltungsgericht ließ das OVG nicht zu, dagegen kann Beschwerde eingelegt werden. Allerdings sieht das OVG da kaum Erfolgsaussichten, weil kein Bundesrecht betroffen ist.

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(dpa, lsa)
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