Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht Amira Mohamed Ali ist neue Linken-Fraktionschefin

Berlin · Sahra Wagenknecht ist nicht mehr Fraktionschefin der Linken im Bundestag. Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht als Linken-Fraktionschefin wird die weitgehend unbekannte Amira Mohamed Ali.

 Die populärste Linke zieht sich von der Parteiführung zurück: Sahra Wagenknecht im Sommer im Bundestag.

Die populärste Linke zieht sich von der Parteiführung zurück: Sahra Wagenknecht im Sommer im Bundestag.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Katja Kipping hat Kaffeedurst. Die Vorsitzende der Linken verlässt deshalb am Dienstag die Sitzung der Bundestagsfraktion. In dem Saal im Reichstagsgebäude spricht gerade Sahra Wagenknecht. Es ist die letzte Rede der 50-Jährigen als Fraktionsvorsitzende. Im Frühjahr hatte sie angekündigt, dass sie nach vier Jahren nicht erneut kandidieren wird. Der Ärger in der Partei, der Hass, den sie gespürt habe, hätten sie krank gemacht. Jetzt ist Schluss. Gleich wird ihre Nachfolgerin gewählt. Noch einmal richtet Wagenknecht das Wort an die Abgeordneten als deren Chefin. Zum Abschied aus diesem Amt. Teilnehmer berichten, sie habe die Hand zur weiteren Zusammenarbeit gereicht. Und Kipping holt Kaffee. Anschaulicher kann der Kleinkrieg zwischen den beiden Frauen kaum sein.

Die Partei hat unter dem Zerwürfnis der beiden Politikerinnen – die distanzierte, populäre Wagenknecht und die nahbare, aber in Wahlkämpfen weniger erfolgreiche Kipping – gelitten. Oft überdeckten die Personalquerelen die Inhalte. Und ein grundsätzlicher Konflikt zwischen ihnen stand für die Unversöhnlichkeit ihrer Flügel: Die Migrationspolitik und die Frage, wie viele Flüchtlinge Deutschland verkraften kann. Kipping und ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger wollen eine Politik der offenen Grenzen. Wagenknecht findet das „weltfremd“. Sie wehrt sich auch dagegen, AfD-Wähler „alle als Rassisten oder sogar Nazis abzustempeln“. Das trug ihr den Vorwurf des Rechtspopulismus ein – für Wagenknecht eine absurde Kränkung.

Caren Lay und Amira Mohamed Ali treten zur Nachfolge bei den Linken an

Am frühen Nachmittag sind die Abgeordneten zur Kampfabstimmung um Wagenknechts Nachfolge zusammengekommen. Die 47-jährige Caren Lay, in Neuwied im Westen geboren, vor fast 20 Jahren zunächst nach Sachsen gezogen und seit 2009 im Bundestag, seit 2017 Fraktionsvize, tritt gegen die 39-jährige Rechtsanwältin aus Niedersachsen, Amira Mohamed Ali, an, Tochter eines Ägypters und einer Deutschen, die ihr Bundestagsmandat erst seit zwei Jahren hat. Beide Frauen werben für neuen Zusammenhalt.

Riexinger hatte sich offen für Lay ausgesprochen, auch Kipping gilt als Unterstützerin Lays, die einige Jahre ihre Stellvertreterin war. Mohamed Ali kommt aus dem Wagenknecht-Flügel. Sie ist bisher öffentlich wenig wahrgenommen worden. In der Fraktion hat sie sich viel um Tierschutz gekümmert, was bei ihren Gegnern belächelt wird. Lay habe die größere sozialpolitische Kompetenz, heißt es dort. Bartsch hoffte dem Vernehmen nach auf Mohamed Ali, weil Lay als Vertraute von Kipping gilt, der wiederum er nicht vertraut.

Der 61-Jährige, der 1977 in die SED eingetreten war und seit der Wende alle Dramen, Umbenennungen und Veränderungen der Linken durchlebt und durchlitten hat, gilt als gesetzt. Er ist auf der sogenannten gemischten Liste der Linken der einzige Kandidat. Er bekommt 63,7 Prozent. Ein schwaches Ergebnis, ein Signal des Misstrauens gegen ihn. Bei seiner Wahl vor zwei Jahren war der parteiinterne Ärger um Wagenknecht und Kipping auch groß. Damals bekam er aber noch 80 Prozent.

Stichwahl zwischen Lay und Mohamed Ali

Lay und Mohamed Ali kandidieren auf der Frauenliste, sie müssen in die Stichwahl. Im ersten Wahlgang bekommt Mohamed Ali 34 und Lay 30 Stimmen. Im zweiten Wahlgang siegt die junge Niedersachsin mit 36 Stimmen gegen 29 für Lay. Drei Abgeordnete enthalten sich. Sparsamer Applaus. Aufatmen bei Bartsch und Wagenknecht, spürbar tiefer Frust bei Kipping und Riexinger. Die Gräben sind nicht zugeschüttet. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Jan Korte, sagt unserer Redaktion, Mohamed Ali und Bartsch hätten jetzt „eine enorm große Verantwortung“. Wie bei einer Kampfabstimmung üblich, habe eben einer nicht gewonnen. „Und da muss man jetzt erhebliche Mühe verwenden, dass sich alle mitgenommen fühlen.“ Das sei die Aufgabe der Fraktion und auch der Partei.

Mohamed Ali und Bartsch treten ohne Triumph-Gesten vor die Mikrofone. Bartsch sagt sogar, er sei mit seinem Ergebnis noch zufrieden. „Das hätte ich gar nicht erwartet.“ Der große Stimmenverlust im Vergleich zu 2017 sei eben ein Resultat der Auseinandersetzung der Vergangenheit. Klar sei: „Wir kriegen das gemeinsam hin oder eben nicht.“Er spricht dann lieber von einem noch nie erlebten Vertrauensverlust, den die Bundesregierung durch Inkompetenz bei den Wählen verursache.Mohamed Ali, ungeübt in Auftritten vor laufenden Kameras, aber für viele überraschend abgebrüht, lenkt blitzschnell von der Zerrissenheit der Partei ab. Union und SPD könne man nicht durchgehen lassen, wie handlungsunfähig sie seien, sagt die eben erst gewählte Fraktionsvorsitzende  in den ersten 30 Sekunden. Angesprochen auf die zerstrittene Linke, sagt sie: „Die tiefe Zerstrittenheit der Partei empfinde ich so nicht.“

Und dann noch eine Klarstellung zu ihrer Unerfahrenheit als Führungskraft, was ihre Widersacher sehr schnell nach der Wahl als Manko und sie als Erfüllungsgehilfin von Bartsch darstellen. Mohamed Ali sagt: „Als Fraktionsvorsitzende kommt man nicht zur Welt. Man muss natürlich da reinwachsen.“ Sie werde bei Fraktionskollegen Rat suchen. Und: „Ich möchte jeden und jede einbinden. Und ich glaube, dass mir das gelingt.“

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