Jan Philipp Reemtsma zu Gast in Bonn Amnesty lässt die Legitimation von Folter diskutieren

BONN · Mit einer Diskussion zur "Legitimation von Folter" hätte Amnesty International (AI) vor dem Anschlag aufs World Trade Center 2001 wohl kaum eine Handvoll Gäste ins Haus der Geschichte locken können. Doch die Diskussion gestern Abend, bei der auch das ehemalige Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma auf dem Podium saß, fand vor neuem Hintergrund statt.

 Gegen "Rettungsfolter": Jan Philipp Reemtsma diskutierte gestern abend in Bonn.

Gegen "Rettungsfolter": Jan Philipp Reemtsma diskutierte gestern abend in Bonn.

Foto: Barbara Frommann

In der öffentlichen Meinung ist Folter unter bestimmten Bedingungen inzwischen kein Tabuthema mehr. In der Praxis, das zeigen aktuelle CIA-Berichte, gehören "erweiterte Verhörmethoden" ohnehin zum Alltag - ebenso wie für Millionen Fernsehzuschauer, die dem Brutalo-Agenten Jack Bauer in "24" ohne größere Empörung zusehen.

Die Spannbreite der moralischen Argumente, die zur neuen Salonfähigkeit von Folter gehandelt werden, zeigte zum Auftakt der Bonner Philosophie-Professor Hans-Joachim Pieper auf. Er verwies auf die Legitimation, die Jurist Winfried Brugger aufstellte: Folter ist vertretbar, hatte dieser postuliert, wenn es eine klare, unmittelbare, erhebliche Gefahr für einen Unschuldigen und kein anderes, erfolgversprechendes Mittel zur Informationsgewinnung gibt. Wohlgemerkt: Pieper spricht hier von "Rettungsfolter" in Ausnahmefällen, nicht von gängiger Polizeigewalt in totalitären Regimen.

Zu regen Reaktionen schon im Vortrag führte auch sein Gedankenspiel, Folter sei legitim, weil ein Geiselnehmer seine Menschenwürde durch den kriminellen Akt selbst verspielt habe, also nicht mehr schützenswert sei - und Leben und Würde des Opfers sicher doch Vorrang hätten vor dem Täter. Aus dem Publikum kam Protest, doch die problematischen Fragen bleiben als Dilemma unauflöslich - und müssen im Ernstfall von Staat und Einsatzkräften beantwortet werden.

Mit Reemtsma, Sozialwissenschaftler und Mäzen, folgte jemand, der diesen Ernstfall höchstpersönlich durchlebt hat. 1996 war er Opfer eines Entführers, der ihn verschleppte und gefangen hielt. "Aus biografischen Gründen halte ich mich nicht mehr für einen Philosophen", gab er gleich Kontra.

Statt Definitionen wälzte er die reellen Konsequenzen einer Legalisierung staatlicher Folter: "Wenn wir aus Bruggers Herleitung ein Gesetz machen würden und Polizisten für Erkenntnisse foltern dürften, dann werden irgendwann auch Unschuldige gefoltert - mit den besten Absichten", gab er zu bedenken. Vor allem aber müssten Bürger sich auf eine "fundamentale Veränderung der Rechtskultur" gefasst machen. Der Polizist frage sich dann nicht mehr, wo beim Verhör die Grenze sei, sondern wie weit er noch gehen müsse, spann Reemtsma den Faden weiter. Sein Resüme: "Die Brugger'schen Antworten sind nicht schlecht, aber für unsere Vorstellung, was ein Staat zu sein hat, wäre das Szenario verheerend."

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