Behördenchef sieht Reformbedarf Arbeitsagentur warnt vor Hartz-IV-Abgesang

Berlin · Ungerecht, veraltet, herabwürdigend – dies sind Umschreibungen für das bestehende System des Arbeitslosengeldes. Die SPD will es jetzt abschaffen und ersetzen.

Die Politik der Agenda 2010 ist das Spukgespenst der SPD, obwohl sie im Ruf steht, wesentlicher Faktor für die Stabilität der Wirtschaft gewesen zu sein. Besonders an der damaligen Reform des Arbeitslosengeldes (Hartz IV) arbeitet sich die SPD bis heute ab. Ungerecht, veraltet, herabwürdigend – dies sind Umschreibungen für das bestehende System. Die SPD will es abschaffen und ersetzen.

Aber wie? Darum rankt sich derzeit eine besonders kontrovers geführte Debatte, die am Ende der „Erneuerung“ der SPD geklärt sein soll. Spätestens zum derzeit für Ende 2019 geplanten Parteitag soll ein Konzept auf dem Tisch liegen.

Doch nun warnt der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, vor einem Abgesang auf Hartz IV. „Dies hilft vor allem denjenigen nicht, die darauf angewiesen sind: Die Art, wie über die Grundsicherung gesprochen wird, stigmatisiert diese Menschen eher“, sagte Scheele. „Für sie kann der Gang zum Jobcenter damit unweigerlich zu einer schlechten Erfahrung werden, weil sie überall hören, wie schlecht das System ,Hartz IV’ sei“, so der BA-Chef, der selbst SPD-Mitglied ist. Er halte wenig davon, ein „funktionierendes und zuverlässiges System wie die Grundsicherung“ ohne Not gänzlich abschaffen zu wollen, ohne eine konkrete Alternative anbieten zu können.

"Wir werden Hartz IV hinter uns lassen"

SPD-Chefin Andrea Nahles hatte am Wochenende beim SPD-Debattencamp gesagt, dass es eine große, umfassende, tiefgreifende Sozialstaatsreform brauche – und nicht nur viele kleine. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, sagte Nahles und kündigte eine „Sozialstaatsreform 2025“ an. Rückendeckung bekommt sie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Dessen Chef Marcel Fratzscher sagte, Hartz IV sei ungeeignet, heutige Herausforderungen zu lösen. „Deutschland hat einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich, zu viele Geringqualifizierte und viel zu viele Menschen, die von Armut bedroht sind.“ Die Politik brauche neue Konzepte, um die soziale Teilhabe zu verbessern, sagte Fratzscher.

Scheele wirbt hingegen für Reformen im System und stellt zunächst infrage, ob jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat, genauso behandelt werden sollte wie jemand, der noch nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. „Unvernünftig ist es auch, dass junge Menschen in der Grundsicherung ungleich härter sanktioniert werden als ältere, im schlimmsten Fall bis zum Verlust der Wohnung. Das erschwert uns, den Kontakt zu den Jugendlichen zu halten“, sagte Scheele.

Juso-Chef Kevin Kühnert will diese Sanktionen ganz abschaffen und schlägt zusätzliche Vergünstigungen für Hartz-IV-Bezieher vor, die man bei Regelverstößen wieder streichen könnte.

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