"Ein europäisches Problem" Auf die deutschen Autobauer kommen Probleme zu

Der deutsche Diesel-Kompromiss war am Mittwoch noch nicht einmal beschlossen, da zogen über den Autobauern bereits neue dunkle Wolken aus Europa auf. Müssen deutsche Autobauer auch die Fahrzeuge ausländischer Käufer nachrüsten?

"Es gibt ein aus Deutschland kommendes Gesamt-Diesel-Problem in Europa", machte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Auswirkungen auch für andere Mitgliedstaaten deutlich. "Je nachdem, wie sich die Dinge entfalten, wird die EU-Kommission auch in Sachen Kartellrecht zu Schritten bereit sein."

Das hatte Wettbewerbshüterin Margrethe Vestager bereits zuvor in einem Brief an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) betont. "Die Informationen sind umfassend, wie in solchen Fällen üblich, und werfen komplexe materielle und juristische Fragen auf", schrieb sie.

Wenige Tage zuvor bestätigte eine Sprecherin der Behörde, dass die Daimler-Selbstanzeige bereits 2014 eingegangen war und man sich seither darum bemühe, "gerichtsverwertbare" Fakten in die Hand zu bekommen.

Der Grund für das lange Schweigen: In den vergangenen zehn Jahren habe die Kommission neun Verfahren gegen Automobilhersteller unter anderem wegen verbotener Preisabsprachen bei Lkw geführt. Die Vielzahl der Verdachtsfälle sei eine Belastung für die europäische Verwaltung.

Doch der eigentliche Sprengstoff der Schummelei mit Abgasen liegt noch an anderer Stelle. Denn die gegenwärtige Diskussion werde zu "deutschlastig" geführt, betonte der CDU-Europapolitiker und frisch gewählte Parlamentarische Geschäftsführer der Christdemokraten, Markus Pieper, gegenüber unserer Zeitung. "Dieselgate und Stickoxide sind ein europäisches Problem." Deshalb müssten "Nachrüstungen auch europäisch angegangen werden".

Dahinter steckt politischer Zündstoff. Denn die Beschlüsse des Diesel-Gipfels in Berlin betreffen zunächst nur deutsche Autofahrer. Unbeantwortet blieb die Frage, ob die Autobauer nicht auch ihre ausländischen Käufer entschädigen und/oder deren Fahrzeuge nachrüsten müssten. Denn immerhin halten 23 der derzeit noch 28 Mitgliedstaaten die vorgeschriebenen Grenzwerte für die Luftverschmutzung nicht ein.

Erst im Februar dieses Jahres hatte die Kommission etliche blaue Briefe verschickt und Vertragsverletzungsverfahren wegen Überschreitens der Höchstwerte für Feinstaub eingeleitet. Dass daran auch die deutschen Dieselfahrzeuge, die überall in der EU unterwegs sind, mitschuldig sein könnten, wird in Brüssel inzwischen offen bestätigt.

Auf die Autobauer dürften also noch weitere Forderungen zukommen, die sich bisher noch gar nicht beziffern lassen.

Juncker ahnt offenbar auch schon, dass der Schaden durchaus noch größer sein könnte. "Es ist nicht auszuschließen", erklärte er in einem Interview in diesen Tagen, "dass sich dieser Schatten, der jetzt über der Automobilindustrie liegt, auch auf andere Branchen übertragen könnte."

Die Diskussion in den deutschen Nachbarländern hat noch nicht begonnen. Das dürfte sich allerdings rasch ändern, heißt es in Brüssel, wenn es tatsächlich zu Fahrverboten in einigen Städten kommen würde. Denn dann müssten nicht nur die Bundesbürger ihre Dieselautos vor den Toren abstellen, sondern auch die ausländischen Gäste, Touristen und Geschäftsleute. In der Kommission befürchtet man, dass eine empörte Diskussion über die Praktiken der deutschen Autobauer kaum noch zu stoppen ist.

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